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Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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blind an den Brücken saßen, zitternd, mit hohlen Augen in die für sie erloschene Sonne starrend, und die jetzt die Dunkelheit der Nacht wie mit Katzenaugen durchdringen konnten, Gemüseschreier, Fischverkäufer, Hausierer und Gepäckträger, Schuhputzer, Straßenkehrer und verwegene, finstere Burschen, deren Beruf in keiner Liste stand und die an Venedig doch verdienten … sie alle trafen sich auf dem Platz und standen flüsternd beieinander.
    Es war eine Zusammenballung des Venedigs, das in keinem Reiseführer stand. Die Gassen, die in keiner Handbuchkarte verzeichnet sind, hatten sich geöffnet und spien ein Venedig aus, das nichts von Glanz, Licht, Eleganz und Glück kannte.
    Sie alle gehorchten einem uralten venezianischen Gesetz. Es bestimmte seit Jahrhunderten den Zusammenschluß aller Händler und Bettler zu einer Schicksalsgemeinschaft, ein untrennbarer Bund, straff organisiert, mit eigenen Gesetzen, die härter waren als die Paragraphen der normalen Gesetzbücher. Eine Hierarchie der Dunkelheit.
    Vom Campanile herüber schallten zwei helle Schläge. In die schattenhaften Gestalten kam Bewegung. Sie drängten der kleinen Kirche zu, ein kleines Heer schwarzer Fledermäuse.
    Vor der Kirche, auf den untersten Stufen, stand Roberto Taccio. Er trug einen weiten schwarzen Mantel und einen breitkrempigen, schwarzen Hut. Die dunkle Schar drängte sich um ihn und schwieg.
    »Freunde –«, sagte Taccio laut. Seine Stimme überflog den kleinen Platz und prallte von den Hauswänden zurück. »Ich habe euch gerufen, weil hier, in unserem Reich, ein Verbrechen begangen sein soll. Wir sind ehrliche Bettler und Händler, wir holen das Geld aus den Taschen der Reichen, aber wir töten nicht! Hier aber soll ein Mord geschehen sein. Und ein neuer kann geschehen! Ein euch fremder Herr gab mir Geld – für jeden von euch tausend Lire am Tag.«
    »Wofür?« rief einer aus der Menge.
    »Wir sollen jemanden beobachten, Tag und Nacht. Ich weiß … es wird langweilig sein. Aber man ruft die Bettler um Hilfe an … soll man umsonst rufen? Wir rechnen mit dem gütigen Herzen der Reichen – seien wir auch einmal gütig gegen die Gebenden.« Roberto Taccio holte unter dem Mantel einen Beutel hervor. Er hob ihn hoch, und alle sahen, daß er mit Geld gefüllt war. Viel Geld, das man im Herumlungern verdienen konnte.
    »Die ersten tausend Lire für jeden von euch. Ich werde sie verteilen. Und jeder, der sie annimmt, verpflichtet sich nach unserem Gesetz zu handeln. Ihm werde ich den Auftrag in die Ohren sagen.« Roberto Taccio schob den Hut in den Nacken. Der offizielle Teil war beendet … die ›amtliche Sprache‹ konnte abgelegt werden. Nun war man wieder Händler.
    »Der Teufel hole jeden, der kneift«, sagte er und sprang von der Treppe in das Gewühl der Bettler.
    »Und wer bezahlt uns morgen und übermorgen?« rief jemand aus der Menge. »Ich verdiene am Dogenpalast eine Menge –«
    »Ich garantiere euch das Geld! Also?« Taccio sah sich um. »Wer will, macht die dreckigen Finger auf und hält sein Ohr hin!«
    Langsam ging er auf den ersten zu. Der sah sich um, kratzte sich den Kopf, zögerte und streckte ihm dann die schmutzigen Hände hin. Leise klirrten die Lirestücke in die Handflächen. Der Bettler zählte murmelnd mit.
    »Tausend –«
    Taccio beugte sich vor und flüsterte ihm etwas zu. Mit einem breiten Grinsen sah sich der Bettler um.
    »Bei der Madonna, das ist etwas Gutes!« sagte er laut.
    Taccio griff erneut in den Beutel. Er ging von Mann zu Mann, und immer geschah das gleiche … das leise Klirren der Münzen, ein schnelles Flüstern und ein zufriedenes Nicken.
    Dann plötzlich war der Campo San Polo leer. Wie die Ratten huschten sie davon und wurden aufgesogen von den schweigenden Kanälen. Zurück blieb allein Roberto Taccio, mit einem leeren Beutel und schwitzendem Gesicht.
    Er war zufrieden. Das Königreich der Bettler, die Zunft Roberto II., war in straffer Zucht.
    Um Sergio Cravelli und seinen Palazzo Barbarino zog sich ein unzerreißbares Netz.
    Der Geschäftsführer vom Grand-Hotel Excelsior eilte mit wehenden Schößen seines Cuts herbei, als er Rudolf Cramer durch die Drehtür in die Palmenhalle kommen sah.
    »Signore!« keuchte er und nahm gegen die Etikette Cramer zur Seite und stellte ihn hinter einen der großen Palmenkübel. »Im Namen der Dame, die Sie eingeladen haben, muß ich mich beschweren! Bitte, verzeihen Sie diese Ungehörigkeit von mir, aber einem Gast, der schon 10 Jahre zu uns kommt

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