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Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sprechen?
    »Hast du sonst noch irgend etwas Besonderes bemerkt, Roberto?« fragte er.
    Taccio überlegte. Er nickte kurz und hob beide Hände.
    »Nichts Wichtiges, Signore. Cravelli liebt Musik –«
    »Was?«
    »Meine Freunde spielten und sangen, weil es ihnen zu langweilig wurde. Da kam er auf den Balkon, setzte sich in einen Liegestuhl und lauschte auf die Musik. Sogar hundert Lire warf er ihnen zu, damit sie alte venezianische Lieder spielten. Wir waren sehr erstaunt –«
    Rudolf Cramer schüttelte den Kopf. Es paßte ganz und gar nicht zu Cravelli, dieses Bild des träumenden Musikliebhabers. Ein Mörder, der bei Gesang die Augen schließt. Es war eine makabre Vorstellung. Und doch gebar diese Vorstellung in Cramer einen Gedanken, der grandios und fast eine Utopie war. Es war die Möglichkeit, mit der Kraft der Musik in den Palazzo Barbarino zu kommen.
    »Beobachte weiter, Roberto«, sagte er. »Wenn irgend etwas Besonderes ist, rufe mich im Hotel an. Bin ich nicht hier, hinterlege bei Barnese einen Brief –«
    »Si, Signore.« Roberto Taccio verbeugte sich leicht und verließ das Hotel. Er tat es mit Stolz und Würde, gemessenen Schrittes und dem Boy, der die Drehtür in Bewegung setzte, zehn Lire Trinkgeld gebend.
    Auf der Uferstraße sah er die Gondel mit Ilse Wagner anlegen. Das ist sie, durchfuhr es Taccio. Er wollte umkehren und zum Hotel zurücklaufen, aber dann sah er, wie die Dame geraden Weges zum Eingang des ›Excelsior‹ ging.
    Alles in Ordnung, dachte Taccio. Vergnügt ging er weiter und knisterte in der Tasche mit den Dollarscheinen. Es werden 50.000 Lire sein, die man nicht zu teilen braucht. Madonna mia, es würde einen fetten Sommer geben im bella Venezia –
    *
    Cramer stand hinter der Palmengruppe verborgen, als Ilse Wagner in die Hotelhalle kam. Er machte sich nicht bemerkbar, sondern stellte sich in eine Nische. Ilse schien nach ihm zu fragen. Der Chefportier sah sich suchend um und hob dann die Schultern. Eben war er noch da, schien er zu sagen. Ilse Wagner nahm ihren Zimmerschlüssel und fuhr mit dem Lift nach oben. Cramer wartete noch einige Minuten in seiner Nische, dann machte er hinter den Palmen einen Bogen und kam vom großen Saal her in die Halle. Der Portier winkte ihm zu.
    »Es wurde nach Ihnen gefragt, Signore«, rief er. »Signorina Wagner, prego …«
    »Danke, Philippe.«
    »Sie ist auf dem Zimmer, Signore.«
    »Dann verbinde mich mal mit der Signorina.«
    Er betrat eine der Telefonzellen und wartete, bis es klingelte.
    »Ja?« sagte er. »Hier ist Rudolf – Wo warst du? Ich habe dich gesucht.«
    Ilse Wagner hatte sich gerade ausgezogen und wollte unter die Brause. Nackt stand sie am Telefon und mußte lächeln. Wenn man mit dem Telefonieren auch Fernsehen könnte … wie viele Nachtgespräche gäbe es dann.
    »Ich habe mich ein wenig in Venedig umgesehen, Liebster«, sagte sie. »Wenn aus Deutschland mein Geld kommt, werde ich mir ein entzückendes Kleid kaufen. Ich habe ein Geschäft entdeckt –«
    Wie perfekt sie lügt, dachte Cramer bitter. Bei Cravelli gibt es Grundstücke und Häuser, aber keine Moden. Die Chance, die er ihr geboten hatte, war vertan. Sie verschwieg ihm den Besuch. Cramers Argwohn wuchs, aber mit ihm auch seine Enttäuschung und Traurigkeit.
    »Wann bist du fertig?« fragte er.
    »In einer halben Stunde.«
    »Na sagen wir –«
    »Nein, nein!« Ilses Lachen war echt. Wie unbeschwert sie lachen kann mit diesen Lügen, dachte Cramer. »Ich halte mein Wort! Ich bin pünktlich! Ich bin bekannt dafür, daß ich nichts Falsches sage –«
    Das aus ihrem Mund! Cramer trommelte mit den Fingern gegen die Wand der Telefonzelle.
    »Ich warte unten in der Halle, Liebes«, sagte er heiser.
    »Vielleicht dauert es nicht einmal eine halbe Stunde. Bis gleich –« Ilse hängte auf. Sie lief unter die heiße Brause und seifte sich ab. Es war ihr, als streife sie damit den Moder ab, den sie bei Cravelli in ihre Haut aufgesogen hatte. Wie frisch nach einem langen Schlaf, wie erholt frottierte sie sich ab und war voll ehrlicher Freude über den kommenden Abend. Selbst die Gedanken, Cramer nach seinem wirklichen Ich zu fragen, waren nicht mehr drückend. Eine andere Version wurde unter der Brause geboren: Zuerst dachte er, es wird ein Flirt, und da war jeder Name gut genug. Was bedeutet ein Name bei einem Sommerflirt? Dann aber wurde es in ihren Seelen mehr, und Rudolf Cramer suchte bestimmt eine Gelegenheit, die Wahrheit zu sagen. Ilse wollte ihm in einer Stunde dazu

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