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Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Kahn half, war sie entschlossen, Rudolf Cramer nichts von ihrem Besuch bei Cravelli zu erzählen. Immer rätselhafter wurde ihr die Gestalt des Sängers und sein Interesse, ihr bei der Suche Dr. Berwaldts zu helfen.
    Ein paar Worte Cravellis kamen ihr wieder in Erinnerung. Die Konkurrenz war sehr aktiv, man spionierte sich gegenseitig aus, um den Markt zu erobern … War der Mann, der der Sänger Cramer sein wollte, vielleicht ein Agent irgendeiner Firma, die Dr. Berwaldt für sich gewinnen wollte? Welches Interesse hat ein Opernsänger an chemischen Formeln? Warum versuchte er, Cravelli zu belasten, den er gar nicht kannte? Wie kam er überhaupt auf den Namen Cravelli?
    Dieser Mangel an Vertrauen, diese Vorsicht verhinderten, daß Rudolf Cramer von dem verzweifelten SOS Dr. Berwaldts erfuhr. Ilse Wagner schwieg und nahm sich vor, erst die Rückkehr Dr. Berwaldts abzuwarten. Viel wichtiger erschien ihr der kommende Abend mit Cramer. Er sollte Klarheit schaffen, wer er wirklich war. Sie wußte, daß es ein schwerer Abend werden würde. Sie war versucht, im stillen zu bitten: Laß ihn wirklich Cramer sein, laß ihn ein harmloser, lieber Mensch sein … ein Mensch, den ich lieben kann …
    Aber Ilse Wagner wußte nichts von einem Besuch, den Rudolf Cramer einige Minuten vorher in der Halle des ›Excelsior‹ erhalten hatte.
    Roberto Taccio war erschienen und hatte Signore Cramer zu sprechen verlangt. Er sah nicht mehr wie ein Bettler aus. Er trug einen dunklen, maßgeschneiderten Anzug, ein blütenweißes Perlonhemd, eine fröhliche Krawatte und spitze, enge schwarze Krokodillederschuhe. Sein schwarzes Haar war glatt und pomadisiert, und wie er so in der Halle saß, unter den Palmen wartend und eine Zeitung durchblätternd, unterschied er sich in nichts von den geldschweren Gästen, die um ihn herumgingen.
    Er sprang auf, als Rudolf Cramer aus dem Aufzug kam.
    »Bitte, Signore«, sagte Taccio und zog eine Liste aus der Tasche. »Sie sollen sehen, daß wir ehrliche Menschen sind. Die ersten Meldungen habe ich zusammengestellt. Alle Besuche ab gestern nacht …«
    Cramer klopfte Taccio auf die Schulter, was dieser mit einem Mißfallen hinnahm. Einem Dienstboten spricht man so ein Lob aus, nicht einem eleganten Herrn wie Roberto Taccio.
    Die Liste war umfangreich. Sie begann mit Prof. Panterosi am Vormittag, sogar Cramer selbst war darin erwähnt. Leise pfiff er vor sich hin.
    Zweimal stand da: Eine fremde, braunhaarige, junge Dame. Einmal heute morgen, einmal vor einer Stunde. Das erste Mal nur ein kurzes Gespräch mit einem Diener an der Tür, der sie nicht einließ; das zweite Mal wurde sie eingelassen, und zum Zeitpunkt des Abganges des Berichtes befand sie sich noch im Palazzo Barbarino. Ferner waren gesehen worden: ein Gemüsehändler, ein Fleischer, ein Bote einer großen Weinhandlung, zwei Zeitungsjungen, drei Immobilienkunden, ein Briefträger und eine Frau, die Eier und Hühner vom Land brachte.
    Rudolf Cramer faltete die Liste zusammen, nickte anerkennend und steckte sie in die Tasche. Er holte ein Bündel Scheine hervor und gab zwei Scheine in Taccios diskret vorgestreckte Hand. Taccio sah genauer hin und grinste zufrieden.
    »Dollars. Das ist gut, Signore. Umgerechnet sind das –«
    Er wollte mit dem Rechnen beginnen, aber Cramer zog ihn unter die Palmen. »Was ist mit dem Mädchen?« fragte er. »Es ist noch bei Cravelli?«
    »Si, Signore. Anscheinend eine lange Unterredung.«
    »Es ist die gleiche Dame, die schon einmal da war?«
    »Ja. Meine Leute sind genau, Signore.«
    »Das glaube ich dir, Roberto.« Cramer schob nachdenklich die Unterlippe vor. »Was will sie bloß bei Cravelli?«
    »Das haben wir nicht feststellen können, Signore«, sagte Taccio bedauernd. »Auch der Neugier sind Grenzen gesetzt –«
    Cramer sah nachdenklich über Taccios Kopf hinweg gegen die Palmblätter. Auch bei ihm bildeten sich viele Fragen, die er nicht beantworten konnte. Warum fuhr Ilse heimlich zu Cravelli? Woher kannte sie ihn überhaupt? War es denn wahr, daß sie als kleine Sekretärin mittellos auf dem Bahnhof von Venedig vergessen worden war? Oder hatte man ihm das alles nur vorgespielt, aus einem Grund, den er überhaupt nicht erklären konnte? Dagegen sprach wieder ihre echte Verzweiflung, die man so natürlich nicht spielen konnte. Er sah ihre großen Augen vor sich, in denen die Angst brannte. Das war keine künstliche Angst … es war echtes Entsetzen. Aber warum hatte sie zweimal versucht, Cravelli zu

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