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Die Schwerelosen

Die Schwerelosen

Titel: Die Schwerelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valeria Luiselli
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sehr, sehr traurig die restlichen Erdnüsse unter Ezra Pounds Käfig aß.
    Wir mussten lange gehen, bis wir ein Hospital erreichten. Während wir da so liefen, blickte ich, um den Sinn für die Realität nicht zu verlieren, auf meine in die grauen Strümpfe gepackten Schenkel. Wir bewegten uns schnell über die vereisten Gehsteige. White sprach von dem Baum vor seinem Haus. Ich wollte ihn unterbrechen. Meine Beine hatten den Farbton der Trottoirs im Winter: Sie sahen wie eine Verlängerung des Trottoirs aus. Ich erzählte White von dem Bäumchen im Topf, den ich von der Dachterrasse bei Owen geklaut hatte. Ich sah auf meine Beine, um sonst nichts zu sehen. Ich war eine graue Frau, eine Trottoir-Frau. San Juan, lieber an San Juan denken: die Strümpfe, die Bürgersteige: mein Geliebter, die Berge. Der Alkohol, der Winter, der Frost, das alles war eine willkürliche Anhäufung von so etwas wie Speichel, eine Schicht über der anderen vom beharrlichen Zungenschlag der Stadt.
    Ob sie mich ins Gefängnis stecken, wenn jemand mich dabei sieht, wie ich den Baum absäge?, fragte mich White.
    Die einsamen bebuschten Täler: Sie verwahren Schritte und Staub.
    Ich glaub schon, White. Die Straßen und die Beine: die fremden Eilande. In der Logik des Kranken, des Idioten, die klingenden Flüsse, alles kurz davor, an seinen Platz zu fallen. Die Strümpfe, die Bürgersteige, Schritte und Staub, Straßen und Beine: der Hauch lieblicher Lüfte. Und ein was weiß ich, was sie nunmehr stammeln.
    Hilfst du mir, ihn umzulegen?
    Wen?
    Den Baum.
    Doch niemals fällt etwas an seinen Platz. Im Hospital dachten sie, ich hätte freiwillig Drogen genommen. Um mich zu beruhigen, gaben sie mir Valium: die einsamen Täler. Vielleicht starb ich erneut, so wie ich an jenem Tag auf Owens Dachterrasse gestorben bin. Ich schlief: die beruhigte Nacht. Ob Minuten oder Stunden, weiß ich nicht: die stille Musik, die klingende Einsamkeit. Als ich aufwachte, bat ich White um sein Handy und rief meine Schwester an, erzählte ihr, was passiert war. Sie erklärte mir: Du hattest eine Panikattacke. Ich sagte: Nein, sie haben mich unter Drogen gesetzt und bestohlen: das Mahl, das erholt und Liebe weckt. White blieb an meinem Bett, bis mein Zustand stabil war.
    Gegen Mittag brachte mich White bis zum Eingang meines Gebäudes. Noch etwas benommen vom Valium und überaus dankbar versprach ich, ihm beim Fällen des Baumes zu helfen. Er versprach mir, das, was ich über Owen notiert hatte, noch einmal sorgfältig zu lesen. Recherchier doch noch weiter, damit wir ein Porträt schreiben können, sagte er, während er mich umarmte. Er sagte auch, ich könne diesenStuhl, den sowieso keiner benutze, behalten. Ich betrat das Gebäude, grüßte den Pförtner, ging hoch in meine Wohnung und putzte mir die Zähne. Vielleicht habe ich sie aber auch nicht geputzt.
    *
    Wir haben alle Grippe. Als Ersten hat es den Mittleren erwischt. Dann die Kleine. Jetzt, stärker noch, meinen Mann und mich. Der Mittlere sagt, wir haben jeder einen Virus. Und zusammen hätten wir vier Virusse.
    *
    In jenem Land machten die Leute Anzeigen. Riefen die Polizei. Dakota kam mich besuchen, ein paar Tage nach dem Zwischenfall in der Bar. Sie fragte:
    Warst du schon bei der Polizei?
    Nein. Wozu?
    Sie rief an, dramatisierte das Ganze, imitierte einen ausländischen Akzent. Gestern Nacht haben mich Männer unter Drogen gesetzt und bestohlen. Sie haben meine Kreditkarte benutzt und mein Konto leer geräumt. Dakota war gut im Dramatisieren. Ein paar Stunden später tauchten zwei uniformierte Polizisten in meiner Wohnung auf. Sie tranken einen Kaffee an meinem Esstisch und machten sich Notizen. Der Ermittler ruft Sie in ein paar Tagen an, sagten sie, bevor sie gingen. Der Jüngere steckte mir einen kleinen Zettel zu, darauf sein vollständiger Name, seine Telefonnummer und ein Herz mit einem Smiley drin. Ich steckte den Zettel zwischendie Äste des Baums neben meinem Schreibtisch. Dakota und ich betranken uns und schauten einen Film von Jim Jarmusch an.
    *
    Mein Mann schätzt die Filme von Kubrick und mag Zombiefilme, jeden Zombiefilm. Wir lagen alle vier mit unserem Virus im Bett und haben abwechselnd Zombiefilme und welche von Kubrick gesehen. Ich verstehe nicht, wie ihm beide Sachen gleichermaßen gefallen können. Ich stelle ihn: Das ist als ob dir Männer und Frauen gleichermaßen gefielen. Der Mittlere sekundiert: Das ist, als ob dir die Corn Pops mit Milch schmeckten.
    *
    Der Ermittler rief ein paar

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