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Die Schwerelosen

Die Schwerelosen

Titel: Die Schwerelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valeria Luiselli
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auf das ich gewartet hatte. Mich überwältigte eben jene Begeisterung, die Babys zeigen, wenn sie ihre Existenz in einem Spiegel bestätigt sehen.
    Es war nicht meine Gewohnheit, Dinge mitgehen zu lassen, die mir nicht gehörten. Nur manchmal, nur ganz bestimmte Dinge. Manchmal ziemlich viele Dinge. Als ich aber diesen toten kleinen Baum auf Owens Dachterrasse sah, meinte ich, dass ich ihn mit nach Hause nehmen und pflegen müsste, zumindest bis der Winter vorbei war. Wenn dann der Frühling kam, konnte ich ihn ja vielleicht zurück auf dieses Dach bringen. Es wurde dunkel. Ich ging mit dem Topf auf die Tür zu, fertig für den Heimweg. Doch die Tür hatte von außen kein Schloss, und ich schaffte es nicht, sie zu öffnen.
    Ich habe mal in einem Buch von Saul Bellow gelesen, dass der Unterschied zwischen lebendig und tot nur eine Frage des Standorts ist: Die Lebendigen schauen vom Zentrum aus nach draußen, während die Toten von der Peripherie aus zu irgendeiner Art von Zentrum blicken. Vielleicht bin ich erfroren, vielleicht bin ich in jener Nacht an Unterkühlung gestorben. Auf alle Fälle war es die erste Nacht, die ich mit demGeist von Gilbert Owen verbringen musste. Von da an begann meine Existenz als Person, die von einem anderen möglichen Leben bewohnt ist, das nicht das meine war, das ich mir aber nur vorzustellen brauchte, um mich ihm ganz hinzugeben. Ich begann, von außen nach innen zu blicken, von einem Ort zu keinem. Selbst jetzt, da mein Mann schläft, das Baby und der Mittlere schlafen und ich eigentlich auch schlafen könnte, es aber nicht tue, weil es mir mal wieder so vorkommt, als sei mein Bett nicht mein Bett und diese Hand nicht meine Hand. Damals knöpfte ich mir den Mantel bis zum Hals zu. Ich verteilte die durchsonnten Zeitungen auf dem Beton und bereitete mir damit ein nachrichtenträchtiges Lager, das mich ein wenig schützen sollte. Bevor ich die Hände in den tiefen Taschen versenkte, steckte ich das Buch in den Rucksack und machte mir daraus ein Kopfkissen. Ich stellte den Blumentopf zu meinen Füßen auf und legte mich mit dem Rücken auf den Boden.
    Bei Morgengrauen setzte ich mich an den Rand der Dachterrasse und hoffte, dass nun bald jemand aus dem Gebäude käme. Meine Hände waren blau, die Lippen gesprungen. Gegen neun Uhr morgens – die Sonne begann mir den Rücken zu wärmen – kam ein Mädchen auf einem Fahrrad heraus. Ich schrie ihr von oben aus zu. Das Mädchen drehte mir den Kopf zu und grüßte. Es war das Pummelchen mit der grünen Wachskreide, das ich am Tag zuvor gesehen hatte. Ich flehte sie an, ich versprach ihr Süßigkeiten, Wachskreiden und Hühnerbeine als Belohnung für ihre Hilfe. Sie lehnte ihr beladenes Fahrrad gegen die Treppen am Eingang und betratwieder das Gebäude. Sie ging wohl langsam herauf, verlängerte meine Agonie. Ich stellte mir vor, dass sie ihre Mutter, ihren Vater, die Großeltern und alle Bewohner mitbrachte, dass die mich lynchen wollten und ich erklären musste – was sollte ich nur sagen? –, dass ich mich verlaufen hätte, die Dachterrasse gefegt hätte, Mexikanerin sei, Übersetzerin,
sorry Sir, sorry Ma’am
, dass doch nichts Komisches daran sei, wenn ich an einem Samstag früh da oben auf ihrem Dach zugange sei. Die Tür zur Dachterrasse, eine sehr dünne Metallplatte, erzitterte leicht, möglicherweise angestoßen von den schwachen Händchen des Mädchens. Plötzlich sprang sie auf.
    Was ist passiert, Nachbarin?
    Ich bin früh hoch, um meine Pflanze zu gießen, und habe mich ausgesperrt.
    Meine Mama lässt uns nicht rauf, sie sagt, hier oben gibt es Gespenster.
    Recht hat sie.
    Bist du ein Gespenst?
    Nein, Gespenster gibt es nicht.
    Was willst du mit dem vertrockneten Baum?
    Ich bringe ihn zum Doktor.
    Ich ging mit dem Topf im Arm hinter ihr hinaus. Wir stiegen langsam die Treppen hinunter. Draußen wartete schon eine Bande dicker Kinder auf sie. Ich stellte den Topf einen Augenblick ab und verabschiedete mich linkisch mit einem Handschlag.
    Wie heißt du?, fragte ich sie.
    Dora, aber man nennt mich Do.
    Ich hob erneut den Blumentopf hoch. Die anderen Kinder sahen mir nach, wie ich da den toten Baum abschleppte. Sie lachten, machten sich schamlos über mich lustig: Die natürliche Grausamkeit der Kinder potenziert sich bei dicken Kindern. Ich durchquerte den Park, und Do rief mir aus der Ferne zu:
    Pflanzendoktoren gibt es auch nicht.
    In meiner Wohnung angekommen, stellte ich den Topf neben den Schreibtisch. Bevor ich duschte,

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