Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
davon und schwatzte mit Henry Percy, schirmte den König und mich vor den Blicken des Hofstaats ab, besonders vor dem lächelnden Blick Königin Katherines. Mein Vater trat zu ihr hin und sprach mit ihr, während die Musikanten spielten. Alles geschah mit vollkommener Leichtigkeit und Ruhe. Der König und ich saßen so in einem Raum voller Menschen beinahe im Verborgenen. Die Musik war laut genug, um unser Flüstern zu übertönen, und alle Mitglieder der Familie Boleyn waren so geschickt plaziert, daß sie alles abschirmen konnten, was geschah.
»Geht es Euch jetzt besser?« erkundigte sich der König mit einem liebevollen Unterton in der Stimme.
»So gut wie noch nie, Sire.«
»Ich reite morgen aus«, sagte er. »Würdet Ihr mir die Freude machen und mitkommen?«
»Wenn Ihre Majestät, die Königin, auf meine Dienste verzichten kann«, erwiderte ich, entschlossen, nicht das Mißfallen meiner Herrin zu erregen.
»Ich werde die Königin bitten, Euch für den Morgen aus Euren Pflichten zu entlassen. Ich werde ihr sagen, daß Ihr frische Luft braucht.«
Ich lächelte. »Was für ein guter Arzt Ihr wärt, Majestät. Ihr |29| stellt die Diagnose und bietet die Medizin – und alles an einem Tag.«
»Ihr müßt eine artige Patientin sein, was immer ich Euch anrate«, warnte er mich.
»Das will ich versprechen.« Ich senkte die Augen auf die Hände, spürte, wie sein Blick auf mir ruhte. Meine Seele schwang sich hoch in die Lüfte, höher, als ich je zu träumen gewagt hätte.
»Vielleicht verschreibe ich Euch ganze Tage Bettruhe«, murmelte er sehr leise.
Ich erhaschte einen kurzen Blick auf seine unverwandt starrenden Augen, spürte, wie mir die Röte ins Gesicht schoß, stammelte ein paar Worte und verstummte. Unvermittelt hörte die Musik auf. »Spielt weiter!« befahl meine Mutter. Königin Katherine hielt Ausschau nach dem König und sah ihn bei mir sitzen. »Wollen wir tanzen?« fragte sie.
Es war ein königlicher Befehl. Anne und Henry Percy nahmen ihre Plätze ein, die Musikanten begannen zu spielen. Ich erhob mich, und Henry verließ mich, um sich neben seine Frau zu setzen und uns zuzusehen. George war mein Partner.
»Kopf hoch«, herrschte er mich an, als er meine Hand nahm. »Du siehst aus wie ein begossener Pudel.«
»Sie beobachtet mich«, flüsterte ich zurück.
»Natürlich. Aber viel wichtiger:
Er
beobachtet dich. Und am wichtigsten: Vater und Onkel Howard beobachten dich auch, und sie erwarten von dir, daß du dich benimmst wie eine junge Frau, deren Stern aufgeht. Hoch hinauf, Mistress Carey, und wir alle steigen mit auf.«
Ich hob den Kopf und lächelte meinen Bruder an, als hätte ich keine Sorgen auf der Welt. Ich tanzte so anmutig, wie ich nur konnte, ich knickste und drehte mich und wirbelte unter Georges geschickter Führung herum. Sooft ich zum König und zur Königin aufblickte, ruhten beider Blicke auf mir.
Im großen Londoner Haus meines Onkels Howard tagte der Familienrat. Wir versammelten uns in seiner Bibliothek, die mit ihren dunklen Bänden vom Lärm der Straße abgeschieden |30| war. Zwei unserer Männer in der Livree der Howards standen vor der Tür Wache, um Unterbrechungen zu unterbinden und sicherzustellen, daß niemand stehenblieb und lauschte. Wir wollten Familienangelegenheiten, Familiengeheimnisse besprechen. Außer den Howards durfte sich niemand in der Nähe aufhalten.
Anlaß und Thema dieser Versammlung war ich. Um mich würden sich die Ereignisse drehen. Ich war der Boleyn-Bauer, der in diesem Schachspiel so vorteilhaft wie möglich eingesetzt werden mußte. Alles konzentrierte sich auf mich. Ich spürte, wie mir der Puls in den Handgelenken pochte – ich fühlte mich wichtig und hatte gleichzeitig Angst, zu versagen und alle zu enttäuschen.
»Ist sie fruchtbar?« fragte Onkel Howard meine Mutter.
»Ihre Monatsblutungen sind regelmäßig, und sie ist gesund.«
Mein Onkel nickte. »Wenn sie mit dem König schläft und seinen Bankert empfängt, steht für uns viel auf dem Spiel.« Mit ängstlicher Konzentration betrachtete ich den Pelz am Saum seines Ärmels, der über das Holz des Tisches strich, den üppigen Stoff seiner Jacke, der satt im Flammenschein des Feuers leuchtete. »Sie darf jetzt nicht mehr in Careys Bett liegen. Diese Ehe muß ruhen, solange ihr der König seine Gunst schenkt.«
Ich konnte mir nicht vorstellen, wer meinem Ehemann diese Mitteilung machen würde. Außerdem hatten wir vor Gott geschworen, daß wir stets zusammenbleiben
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