Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
bei ihrem Aufstieg zu helfen?«
|33| »Natürlich.« Sie strahlte ihn an. »Wie wir das alle machen sollten. Keiner von uns wird zu leiden haben, wenn Mary die Gunst des Königs genießt.«
Sie hielt unerschrocken seinem Blick stand, bis er sich schließlich abwandte, um aus dem Fenster zu schauen. »Ich muß fort«, sagte er. »Der König hat mich gebeten, mit ihm auf die Jagd zu gehen.« Er zögerte einen Augenblick, dann kam er durch das Zimmer zu mir, die ich inmitten meiner verstreuten Habe stand. Sanft nahm er meine Hand und küßte sie. »Es tut mir leid um Euretwegen. Es tut mir leid um meinetwegen. Wenn man Euch zu mir zurückschickt, vielleicht in einem Monat, vielleicht in einem Jahr, werde ich versuchen, mich an den heutigen Tag zu erinnern, als Ihr aussaht wie ein kleines Mädchen und ein wenig verloren zwischen all diesen Kleidern standet. Ich werde versuchen, mich daran zu erinnern, daß Ihr an diesen Intrigen keinen Anteil hattet, daß Ihr zumindest heute mehr Mädchen als Boleyn wart.«
Wortlos nahm die Königin zur Kenntnis, daß ich nun eine alleinstehende Frau war und mir mit Anne einen kleinen Raum in der Nähe ihrer Gemächer teilen würde. Nach außen hin änderte sich ihre Einstellung mir gegenüber nicht im geringsten. Sie sprach weiterhin leise und höflich mit mir. Wenn sie wollte, daß ich ihr einen Gefallen tat – eine Notiz schrieb, sang, ihren Schoßhund aus dem Zimmer führte oder jemandem eine Botschaft überbrachte –, bat sie mich so höflich darum, wie sie das immer getan hatte. Aber nie wieder ließ sie sich von mir aus der Bibel vorlesen, nie wieder bat sie mich, zu ihren Füßen zu sitzen, während sie stickte, nie mehr segnete sie mich, ehe ich zu Bett ging. Ich war nicht mehr ihre liebste kleine Hofdame.
Ich war immer erleichtert, wenn ich abends mit Anne zu Bett gehen konnte. Dann zogen wir die Vorhänge rings um uns zu, so daß wir im Dunkeln miteinander flüstern konnten, ohne belauscht zu werden. Es war wie in unserer Kinderzeit in Frankreich. Manchmal kam George aus den Gemächern des Königs und gesellte sich zu uns, kletterte auf das hohe Bett, |34| stellte die Kerze gefährlich schwankend auf das Kopfende und hatte Karten oder Würfel dabei, um mit uns zu spielen, während in den Nebenräumen die anderen Mädchen schliefen und nicht ahnten, daß wir in unserer Kammer einen Mann verbargen.
Die beiden hielten mir keine Vorträge darüber, wie ich meine Rolle zu spielen hatte. Schlau warteten sie, bis ich ihnen von mir aus zu verstehen gab, daß ich mich überfordert fühlte.
Ich sagte nichts, als meine Kleider von einem Ende des Palastes zum anderen geräumt wurden. Ich sagte nichts, als der Hofstaat seine Sachen packte und im Frühjahr in den Lieblingspalast des Königs nach Eltham in Kent zog. Ich sagte nichts, als mein Ehemann im königlichen Troß neben mir ritt und freundlich mit mir über das Wetter und den Gesundheitszustand meines Pferdes plauderte, das mir Jane Parker widerwillig geliehen hatte, als ihren Beitrag zu den ehrgeizigen Zielen unserer Familie. Aber als ich im Garten von Eltham Palace endlich George und Anne für mich allein hatte, sagte ich zu George: »Ich glaube nicht, daß ich es fertigbringe.«
»Daß du was fertigbringst?« fragte er. Eigentlich sollten wir den Hund der Königin ausführen, der von dem Tagesritt auf dem Sattelknauf noch völlig durchgeschüttelt war und sehr elend aussah. »Komm schon, Flo!« ermunterte George das Tier. »Such! Such!«
»Ich kann nicht gleichzeitig mit meinem Ehemann und dem König zusammen sein«, erwiderte ich. »Ich kann nicht mit dem König schäkern, während mein Mann zusieht.«
»Warum nicht?« Anne rollte einen Ball über den Boden, den Flo jagen sollte. Der Hund schaute ihm teilnahmslos nach. »Ach, mach schon, du dummes Ding!« rief Anne ihm zu.
»Weil es mir ganz verkehrt scheint.«
»Du weißt es also besser als deine Mutter?« fragte Anne barsch.
»Natürlich nicht!«
»Besser als dein Vater? Als dein Onkel?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Sie planen eine großartige Zukunft für dich«, verkündete |35| Anne feierlich. »Jedes Mädchen in England würde sein Leben darum geben, deine Möglichkeiten zu haben. Du bist auf dem besten Weg, die Favoritin des Königs von England zu werden, und du jammerst herum. Du hast ungefähr soviel Verstand wie Flo hier.« Mit der Spitze ihres Reitstiefels versetzte sie Flos widerspenstigem Hinterteil einen kleinen Tritt und schob das Hündchen
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