Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
erstickst.«
Sofort hob sie den Kopf. »Ich möchte dich etwas fragen.«
»Dann frage.«
»Ich weiß, daß Henry mit den anderen Jungen bei den Zisterziensern bleiben soll, bis die Königin ihn an den Hof ruft.«
»Ja«, quetschte ich heraus.
»Ich wollte fragen, ob ich vielleicht mit dir kommen darf? Ich bin schon beinahe zwölf.«
»Du bist elf.«
»Das ist doch beinahe zwölf. Wie alt warst du, als du von hier weggegangen bist?«
Ich mußte über ihre Beharrlichkeit lächeln. »Du hast recht. Du solltest an den Hof mitkommen. Ich bin ja da und kann ein bißchen auf dich aufpassen. Vielleicht nimmt dich Anne als Hofdame. Und William kann auch ein Auge auf dich halten.«
Ich dachte an die ungeheure Lüsternheit des Hofes, daran, wie sehr dieses neue Boleyn-Mädchen gleich im Mittelpunkt stehen würde, und mir schien die zarte Schönheit meiner Tochter auf dem Land so viel sicherer zu sein als in Henrys |574| Palästen. »Nun, früher oder später muß es geschehen«, sagte ich. »Aber wir sollten erst Onkel Howards Erlaubnis einholen. Wenn er zustimmt, kannst du nächste Woche mit William und mir an den Hof kommen.«
Sie strahlte und klatschte in die Hände. »Kriege ich dann neue Kleider?«
»Ich denke schon.«
»Und ein neues Pferd? Ich muß doch dort mit auf die Jagd, nicht?«
Ich zählte es an den Fingern ab. »Vier Kleider, ein Pferd. Sonst noch etwas?«
»Hauben und einen Umhang. Meiner ist zu klein. Ich bin herausgewachsen.«
»Hauben. Umhang.«
»Das ist alles«, meinte sie atemlos.
»Ich glaube, das geht«, sagte ich. »Aber vergiß eines nicht, Miss Catherine. Der Hof ist nicht immer ein guter Ort für ein junges Mädchen, insbesondere für ein hübsches junges Mädchen. Ich erwarte von dir, daß du machst, was man dir sagt, und wenn jemand mit dir schöntut oder dir einen Brief schickt, mußt du mir davon berichten. Ich möchte nicht, daß dir bei Hof jemand das Herz bricht.«
»O nein!« Sie tanzte durch den Raum. »Nein. Ich tue alles, was du mir sagst. Außerdem glaube ich nicht, daß mich überhaupt jemand bemerkt.«
Der Rock wirbelte ihr um den schlanken Körper, während das braune Haar ihr um den Kopf flog. Ich lächelte sie an. »Oh, sie werden dich bemerken«, sagte ich traurig. »Sie werden dich bemerken, meine Tochter.«
|575| Winter 1535
Ich genoß die zwölf Weihnachtstage mehr als je zuvor. Anne war schwanger und strahlte vor Gesundheit und Selbstvertrauen. William war stets an meiner Seite. Ich hatte ein Kind in der Wiege und eine junge, schöne Tochter bei Hof. Für die Feiertage hatte Anne sogar erlaubt, daß ihr Mündel Henry zu uns kam. Als ich mich am Dreikönigstag zum Essen hinsetzte, sah ich meine Schwester auf dem englischen Thron und meine Familie ringsum im Saal an den besten Tischen.
»Du siehst fröhlich aus«, meinte William, als er sich zum Tanz mir gegenüber aufstellte.
»Das bin ich«, erwiderte ich. »Endlich scheinen die Boleyns da angekommen zu sein, wo sie hinwollten, und wir können es genießen.«
Er schaute zu Anne hinüber, die eben die Damen in eine komplizierte Tanzfigur führte. »Ist sie schwanger?« fragte er sehr leise.
»Ja«, flüsterte ich zurück. »Woran hast du das erkannt?«
»An ihren Augen«, antwortete er. »Sonst würde sie es wohl kaum über sich bringen, Jane Seymour höflich zu behandeln.«
Darüber mußte ich lachen. Ich blickte auf die andere Seite unseres Kreises, wo Jane, jungfräulich blaß und in einem hellgelben Kleid, mit keusch gesenkten Augen darauf wartete, daß sie beim Tanz an die Reihe käme. Als sie in die Mitte trat, sah sie der König an, als wollte er sie auf der Stelle verschlingen.
»Sie ist wirklich ein engelgleiches Wesen«, meinte William.
»Sie ist eine Blindschleiche«, entgegnete ich. »Und mach ihr nicht solche Augen, das dulde ich nicht.«
»Anne duldet es doch auch«, provozierte mich William.
»Sie hat sicherlich nicht ihre Erlaubnis dazu erteilt, das kannst du mir glauben.«
|576| »Eines Tages übernimmt sie sich noch«, erklärte William. »Dann hat er ihre Temperamentsausbrüche satt, und eine Frau wie Jane Seymour erscheint ihm wie eine angenehme Erholung.«
Ich schüttelte den Kopf. »Sie würde ihn innerhalb einer Woche zu Tode langweilen«, sagte ich. »Er ist König. Er jagt gern, reitet in Turnieren und läßt sich unterhalten. Nur ein Howard-Mädchen kann bei alldem mithalten. Schau uns doch an.«
William blickte von Anne zu Madge Shelton und zu mir, schließlich zu
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