Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
dicke, schimmernde Haar über die Schultern und striegelte es mit ihren beiden silbernen Bürsten. Anne lehnte genüßlich den Kopf zurück. »Es wird ein kräftiger Junge«, meinte sie. »Niemand weiß, was alles nötig war, um dieses Kind zu zeugen. Niemand wird es je erfahren.«
Ich merkte, daß mir die Hände plötzlich nicht mehr recht gehorchen wollten. Ich dachte an die Hexen, die sie vielleicht befragt, die Zaubersprüche, die sie womöglich bemüht hatte.
»Er wird ein großartiger Prinz für England«, sagte sie leise. »Ich bin bis an die Pforten der Hölle gegangen, um ihn zu bekommen. Mehr wirst du niemals erfahren.«
»Dann rede auch nicht darüber«, erwiderte ich feige.
Sie lachte kurz auf. »O ja. Zieh nur den Saum deines Kleides zurück vor meinem Dreck, kleine Schwester. Für mein Land habe ich Dinge gewagt, von denen du nicht einmal zu träumen wagst.«
Ich mußte mich zwingen, ihr Haar weiterzubürsten. »Da bin ich mir sicher«, besänftigte ich sie.
Sie war einen Augenblick still, dann riß sie plötzlich die Augen auf. »Ich habe es gespürt«, sagte sie verwundert. »Mary, ich habe es auf einmal gespürt!«
»Was?«
»Gerade eben. Ich habe es gespürt. Das Kind. Es hat sich bewegt.«
»Wo?« wollte ich wissen. »Zeig’s mir.«
Sie klatschte mit der Hand auf ihr hartes Fischbeinkorsett. »Hier drin! Hier drin! Ich habe es gespürt!« Ihr Gesicht leuchtete wie nie zuvor. »Schon wieder«, flüsterte sie. »Ein kleines Zittern. Es ist mein Kind, es hat sich bewegt. Gott sei gepriesen, ich bin schwanger, und das Kind ist lebendig.«
Sie stand auf. Das dunkle Haar wogte ihr um die Schultern. »Lauf und sage es George.«
Obwohl ich wußte, wie vertraut die beiden waren, war ich doch überrascht. »George?«
»Ich meine, dem König«, verbesserte sie sich rasch. »Hol den König.«
Ich rannte zu den Gemächern des Königs. Man kleidete ihn |582| eben zum Abendessen an, aber ein halbes Dutzend Männer waren mit ihm im Privatgemach. Ich machte an der Tür einen Hofknicks, und er drehte sich zu mir um und strahlte vor Freude, als er mich sah. »Nun, es ist das andere Boleyn-Mädchen!« sagte er. »Das freundlichere.«
Mehr als einer lachte über diese Bemerkung. »Die Königin bittet Euch sofort zu sich, Sire«, verkündete ich. »Sie hat gute Neuigkeiten für Euch, die keinen Aufschub dulden.«
Er zog eine Augenbraue in die Höhe. Er benahm sich in jenen Tagen sehr königlich. »Und da schickt sie Euch wie einen Pagen zu mir, um mich herbeizupfeifen wie einen jungen Hund?«
Ich knickste noch einmal. »Sire, für diese Neuigkeit bin ich gern gelaufen. Und Ihr würdet auch auf diesen Pfiff gerannt kommen, wenn Ihr wüßtet, worum es geht.«
Jemand hinter mir murmelte etwas, und der König warf seinen großen Umhang über. »Dann kommt, Lady Mary. Ihr sollt diesen eifrigen jungen Hund führen. Ihr könntet mich hinführen, wo Ihr wollt.«
Ich legte meine Hand leicht auf seinen ausgestreckten Arm und leistete keinen Widerstand, als er mich ein wenig näher zu sich zog. »Der Ehestand scheint Euch zu bekommen, Mary«, sagte er vertraulich, als wir die Treppe hinuntergingen. »Ihr seid so hübsch wie damals als junges Mädchen, als Ihr meine Allerliebste wart.«
Ich war stets auf der Hut, wenn Henry zu intim wurde. »Das ist lange her«, sagte ich vorsichtig. »Euer Gnaden hingegen sind zweimal der Prinz, der Ihr damals wart.«
Sobald die Worte ausgesprochen waren, verfluchte ich meine törichte Zunge. Ich hatte sagen wollen, daß er heute mächtiger und attraktiver war. Aber ich Idiotin hatte es so formuliert, als sei er nur doppelt so fett wie damals – und das war auch die furchtbare Wahrheit.
Er blieb wie angewurzelt auf der dritten Treppenstufe stehen. Ich war versucht, vor ihm auf die Knie zu fallen, wagte nicht, ihm in die Augen zu schauen. Ich wußte, daß es auf der ganzen Welt unmöglich eine ungeschicktere Hofdame geben |583| konnte als mich, die nur zu gerne hübsche Komplimente machen wollte, dazu aber wohl völlig außerstande war.
Ein lautes Brüllen brach los. Zu meiner unendlichen Erleichterung bemerkte ich, daß Henry schallend lachte. »Lady Mary, habt Ihr vollkommen den Verstand verloren?«
Ich lachte ebenfalls, weil mir ein Stein vom Herzen gefallen war. »Ich glaube ja, Euer Gnaden«, antwortete ich. »Ich versuchte nur zu sagen, daß Ihr damals ein junger Mann wart und ich ein Mädchen, und jetzt seid Ihr ein König unter den Prinzen, aber es ist ganz anders
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