Die Schwester der Nonne
wieder eine Brücke und drangen tiefer in die Aue vor.
Diese lang gestreckte Niederung wurde von mehreren Flüssen wie ein Aderngeflecht durchzogen. Oftmals überfluteten sie im Frühjahr oder nach starken Regenfällen die Aue und machten sie unpassierbar. Vor allem die Verbindung zum Dörfchen Lindenau auf der anderen Seite der Aue wurde dabei unterbrochen. Die Flüsse und ihre vielgestaltigen Nebenarme atmeten Feuchtigkeit aus. Häufig hingen Nebel zwischen den Baumwipfeln, der Boden war sumpfig und zwischen den Stämmen geisterten Irrlichter. Riesige alte Eichenbäume, Buchen und Linden breiteten ihre Blätterdächer aus und bildeten einen dunklen Dom.
Durch diesen tasteten sich die beiden Menschenkinder, sich fest an den Händen haltend. Solange sie sich auf der Straße befanden, kamen sie forschen Schrittes voran. Sie querten die Lindenauer Brücke, die über den westlichen Arm des Elsterflusses führte. Einige Schritte später zog Thomas sie von der bequemen Straße auf einen schmalen Pfad. Er führte durch die nebligen Wiesen, unter Linden hindurch, aus dessen Blätterwerk das Wasser tropfte wie nach einem Regen.
Mit starren Augen beobachtete Katharina tanzende Wesen über den Wiesen, zart wie Feenflügel und doch unheimlich. Sie waren nicht greifbar, verformten sich bizarr und zerflossen in ein Nichts. Da standen Bäume von gar grässlicher Gestalt, knorrig und verschlungen, wie riesige Alraunen. Katharina näherte sich ihnen mit Grausen und hielt den Atem an, wenn sie unter ihnen vorbeiging. Sie wagte nicht in das verwirrende Geäst zu blicken und befürchtete, dass sich so ein knorriger Arm herabsenkte und sie greifen würde. Sie stolperte über Wurzeln, die aus dem Boden herausragten und stieß gegen vermodernde Stümpfe, wo vor langer Zeit ein Baum geschlagen wurde.
»Bist du sicher, dass wir richtig gehen?«, fragte sie Thomas mit belegter Stimme.
»Ja, ich war schon oft bei der alten Griseldis.«
»Auch nachts?«
»Nein.«
Sie schwiegen beide und tasteten sich weiter vorwärts. Ab und zu leuchtete ihnen ein fahler Mond, doch meist schoben sich graue Wolken davor. Auf Katharinas Stirn stand ein dünner Schweißfilm, so konzentrierte sie sich auf den Weg vor ihnen, obwohl es kühl und feucht war. Lautlos huschten dunkel Schatten durch die Luft und schlugen Kapriolen. Katharina zuckte zusammen und blieb stehen.
»Das sind Fledermäuse«, erklärte Thomas. Aber auch ihm war es nicht geheuer. Es kostete ihn alle Kraft, sich vor Katharina nichts anmerken zu lassen.
»Ich fürchte mich vor ihnen.« Sie zog die Kapuze ihres Umhangs tiefer ins Gesicht. Fledermäuse könnten sich in ihr Haar verkrallen und dann ihre giftigen Zähne in ihren Kopf schlagen. Sie schauderte.
Thomas zog sie weiter.
»Komm, es ist noch ein Stück des Wegs.«
Es war gar kein richtiger Weg mehr, den sie gingen. Sie bewegten sich zwischen zwei Flüssen, patschten durch flache Tümpel, moorige Weiher, stießen gegen ein Gewirr von nassen Baumstämmen. Irgendwo schrie ein Waldkauz, und im Unterholz knackte es.
Katharina drängte sich näher an Thomas, und er legte seinen Arm um sie.
»Wir haben es bald geschafft«, murmelte er wider die eigene Überzeugung.
Katharina ließ sich wimmernd auf den feuchten Boden sinken.
»Es hat keinen Zweck. Wir werden uns verlaufen und elend sterben. Oder die Wassergeister ziehen uns in ihr nasses Reich. Was habe ich getan, dass ich dich zu diesem Wahnsinn überredete.«
»Steh auf, Katharina«, bat Thomas. »Wir werden den Weg finden. Ich war schon oft bei Griseldis. In der Nacht sieht alles nur etwas anders aus, und der Weg kommt einem länger vor. Ich will nicht, dass du einen anderen Mann heiraten musst und dabei unglücklich wirst.« Mühsam erhob sich Katharina. Ihr Kleid und der Umhang waren nass bis zu den Hüften, ihre Schuhe voller klebrigem Lehm, Zweige hatten ihre Hände zerkratzt, und kalter Schweiß lag auf ihrem Gesicht. Es konnte auch die Feuchtigkeit im Wald sein oder ein paar Tränen oder alles zusammen.
Vor ihnen tat sich ein Weiher auf und versperrte den Weg. Sie wollten ihn umgehen, doch sein mit Erlen und Weiden bestandenes Ufer zog sich hin. Sie stolperten über umgestürzte Baumstämme, von denen ein modriger Geruch ausging. Es platschte im Wasser, und ein Frosch empörte sich über die nächtliche Ruhestörung. Im Geäst einer Erle schrie ein Tier. Katharina hörte ihren eigenen Atem überlaut, und das Blut rauschte in ihren Ohren.
Sie tasteten sich am Rande des
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