Die Schwester der Nonne
den Kopf.
»Ich möchte nicht, dass Euch meinetwegen ein Leid geschieht. Morgen werde ich weiterziehen und mir jenseits des Waldes eine Bleibe suchen.«
»Wo willst du denn hin? Ob du nach Gundorf gehst oder bis nach Merseburg, überall gibt es Häscher und Soldaten, die dich aufspüren können.« Griseldis wiegte zweifelnd ihr graues Haupt. »Ich glaube nicht, dass es etwas bringt davonzulaufen.«
»Bitte, Griseldis«, flehte Thomas. »Ich kann nicht zulassen, dass Katharina mit diesem Mann unglücklich wird. Es bedarf aber einiger Zeit, bis … na ja, bis Gras über die ganze Sache wächst.«
Griseldis grinste mit ihrem zahnlosen Mund und schenkte Thomas einen verständnisvollen Blick.
»Na gut, eine Weile mag es schon gehen. Ich nehme an, bei mir wird sie niemand so schnell vermuten. Allerdings …« Sie stockte und überlegte. »In diesen Kleidern kannst du nicht herumlaufen. Manchmal kommen Leute hierher, Jäger, oder auch Bauern, die Holz sammeln. Aber wir werden schon etwas für dich finden.«
»Oh, danke, Griseldis«, rief Thomas erleichtert. Dann wandte er sich an Katharina. »Ich werde dich öfters besuchen kommen. Und ich werde in der Stadt die Ohren offen halten. Vertrau mir, alles wird gut.«
Er nahm sie in die Arme und drückte sie an sich.
»Ich danke dir«, flüsterte Katharina mit tränenerstickter Stimme.
In diesem Augenblick fühlte Thomas sich unendlich groß und stark und erwachsen. Sein Herz weitete sich, und das warme Gefühl für Katharina verwandelte sich in einen sprudelnden Quell, der in ihm perlte und gluckerte. Er drückte einen Kuss in ihr lockiges Haar, das wie Honig aussah und immer noch nach Lavendel duftete. Wie wundervoll war es doch, sie in den Armen zu halten. Wenn erst wieder Ruhe eingekehrt war, würde er sich ihr erklären. Mit seinem Lohn aus der Anstellung als Kuhwächter – und dass er der Nachfolger seines Vaters werden würde, war er sich ganz sicher – könnte er eine kleine Familie durchaus ernähren. Fast sein ganzes Leben lang hatte er davon geträumt, dass Katharina einmal sein Eheweib werden würde. Nun war dieser Traum greifbar nahe.
Im zeitigen Morgengrauen verabschiedete sich Thomas von Griseldis und Katharina. Er musste zurück sein, bevor der Vater seine Abwesenheit bemerkte. Katharina bemühte sich, tapfer zu sein, als er sie ein letztes Mal umarmte, aber die Tränen kamen unwillkürlich.
»Ich danke dir«, flüsterte sie.
Auch Thomas wurde von Rührung erfasst. Gleichzeitig jedoch war er sich seiner Verantwortung für Katharina bewusst, und das gab ihm Kraft.
»Ich werde dich, so oft es geht, besuchen«, versprach er. »Und zu essen bringe ich auch mit. Ich werde nicht lange weg sein. Vergiss mich nicht.«
Das Mädchen schüttelte den Kopf.
»Wie könnte ich«, flüsterte sie und zog aus ihrem kleinen, durchnässten Bündel eine winzige Holzfigur heraus.
»Du besitzt sie noch?«, staunte Thomas. Er hatte die kleine Holzkuh sofort wiedererkannt, die er Katharina vor langer Zeit geschnitzt hatte.
»Ja, sie wird mich an dich erinnern«, erwiderte sie und umschloss die Schnitzerei fest mit ihren Fingern. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und hauchte Thomas einen Kuss auf die Wange. »Gott beschütze dich.«
»Gott beschütze dich auch«, sagte er und entschwand zwischen den mächtigen Eichenstämmen.
Griseldis bereitete Katharina ein Lager aus Schilf und reichte ihr eine grobe Wolldecke. Kaum hatte sich das Mädchen hingelegt, übermannte es ein bleischwerer Schlaf.
Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als Katharina erwachte. Es war ein prächtiger Herbsttag. Der Waldboden dampfte, es duftete nach Pilzen. Die Tür der Hütte stand weit offen und ließ die würzige Waldluft herein. Sie richtete sich auf und schaute sich um. So richtig hell wurde es hier drinnen wohl nie, aber immerhin konnte sie nun wesentlich mehr Einzelheiten erkennen als in der Nacht zuvor.
Die Hütte war denkbar einfach gearbeitet und ebenso eingerichtet. Immerhin gab es ein halbwegs solide verarbeitetes Fachwerk, wie es schmucklosen Bauernhäusern eigen war. Die Wände bestanden aus Stak- und Weidenflechtwerk, beschmiert mit einer Mischung aus Lehm und gehäckseltem Stroh. Kalktünche gab ihnen einen gefälligen Anstrich. Der Boden bestand aus gestampftem Lehm.
Das ganze Haus schien nur aus diesem einen Raum zu bestehen, dessen Mitte der steinerne Kamin mit der offenen Feuerstelle bildete. Er diente als Wärmequelle und Kochgelegenheit zugleich. Im Ofenloch gab
Weitere Kostenlose Bücher