Die Schwester der Nonne
…«
»Ja?«
»Sie lebt in recht bescheidenen Verhältnissen.«
»Das macht mir nichts aus. Sie dürfen mich nicht finden.«
»Sie?«
»Mein Vater und dieser Mann.« Katharina krallte sich an ihm fest. »Hilf mir, Thomas! Verstecke mich!«
Für einen Augenblick blitzte der Gedanke in seinem Kopf auf, welche Tragweite sein Entschluss, ihr zu helfen, haben könnte. Aber als er ihren biegsamen warmen Körper an seinem spürte, ihren erregten Herzschlag, das Kitzeln ihres Haares an seinem Kinn, da durchströmte ihn so viel Wärme und Liebe, dass er gar nicht anders handeln konnte.
»Bleib bis heute Abend im Kuhturm. Wenn ich die Tiere versorgt habe, bringe ich dich zu Griseldis.«
Er führte sie ins Innere des verschachtelten Gebäudekomplexes. In einer Vorratskammer sollte sie die Zeit bis zum Abend verbringen.
»Es ist genügend zu essen da, Buttermilch und Käse, Brot und Zwiebeln.«
Er warf ihr einen zärtlich-besorgten Blick zu, dann verschloss er die Tür und rückte eine Futterkiste davor. Durch das kleine Fenster fiel nur wenig Licht in die Kammer. Katharina machte es sich auf den Kornsäcken so bequem, wie es nur ging. Sie hatte keinen Appetit, der Kummer schnürte ihr den Magen zu. Wie hatte sich doch ihr Leben verändert.
Die behütete sorglose Kindheit war endgültig vorbei. Vorbei die Kinderspiele mit Philomena, die Tänze und Scherze, die Lektionen bei Magister Siebenpfeiffer und Klaus, die herrlichen Spaziergänge durch die blühenden Wiesen der Aue, wo sie Blumen pflückten, den Imkern Honig abkauften und den Flößern bei ihrer Arbeit zusahen. Vorbei waren die unschuldigen Besuche bei Thomas, die Geschichten unter dem Eichenbaum, vorbei war auch das traute Familienglück beim geliebten Vater. Alles hatte sich geändert, aber auch die Menschen hatten sich verändert.
Maria war fort! Es war, als hätte man Katharina ein Stück Fleisch herausgerissen. Ohne Maria fühlte sie sich wie ein halber Mensch. Es waren nicht nur die Nächte, die sie nun allein in dem viel zu großen Bett verbrachte, es waren auch die Tage, die sie fast immer mit Maria geteilt hatte. Marias und ihre Seele gehörten zusammen. Es war nicht nur die äußerliche Ähnlichkeit, die sie miteinander verband.
Katharina bereute jeden Streit mit Maria, jedes böse Wort und jeden bösen Gedanken und hätte zum ersten Mal von ganzem Herzen freiwillig gebeichtet, um ihr Gewissen zu erleichtern, wenn sie nur die Gelegenheit gehabt hätte.
Auch dass sie nun den Vater hinterging, bereitete ihr großen Kummer. Sie liebte den Vater über alles. Er war so gut zu ihnen, verwöhnte sie, ließ ihnen so viele Freiheiten, wie es sich für ihren Stand noch geziemte. Sie waren sorglos aufgewachsen.
Mit Rührung dachte sie an die Abende zurück, wenn Gäste ins Haus kamen wie der Kaufmann Sikora, der so wundersame Geschichten zu erzählen hatte. Dann brannte Feuer im Kamin, der Tisch wurde festlich gedeckt und aufgetafelt, was die Küche hergab.
Gastlichkeit war im Hause Preller ein Gebot, und Vater war nie kleinlich, wenn es darum ging, Freunde zu bewirten. An all diesen interessanten Abenden durften die Mädchen teilnehmen, wenn auch nicht gerade zur Erbauung der Amme, die um das Seelenheil der Zwillinge fürchtete, wenn sie zu viel von diesem »Teufelszeug« zu hören bekamen.
Die gute Amme! Sie war streng, aber auch gütig. Als kleine Kinder schmiegten sie sich zu gern an ihren riesigen weichen Busen, der ihnen als Säuglinge das Überleben ermöglicht hatte. Die Amme war es, die ihnen das Laufen beibrachte, ihnen das erste Kleidchen anzog oder ihnen die verschmierten Nasen abwischte. Sie war es, die sie tröstete, wenn sie gefallen waren und sich die Knie aufgeschlagen hatten, wenn sie der Hund gebissen hatte oder ein Spielzeug kaputtgegangen war. Sie hatte geschimpft, wenn sie nicht rechtzeitig zum Essen erschienen oder sich auf dem Speicherboden herumtrieben und schmutzig wie Hausgespenster wieder erschienen. Dann hatte sie die Mädchen in die Waschküche gezerrt und von den Mägden mit heißem Wasser und harten Bürsten abschrubben lassen. An dieses Ärgernis erinnerte Katharina sich nun mit großer Zärtlichkeit und Wehmut.
Der schweigsame Magister Siebenpfeiffer, immer ernst, streng blickend in seinem langen, dunklen Mantel und dem breitkrempigen Hut, ein Bücherbündel unter dem Arm gehörte ebenso zu dieser glücklichen Zeit wie Klaus, sein Student.
Klaus! Heftige Sehnsucht überkam Katharina, und ihre Augen füllten sich mit
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