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Die Schwester der Nonne

Titel: Die Schwester der Nonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hastings
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kaum.
    Trotz der Schwere der ungewohnten Arbeit erholte sich ihr malträtierter Körper. Ihre eckigen Körperformen rundeten sich wieder, ihre Wangen röteten sich, in ihre blauen Augen trat wieder Glanz. Die frische Luft tat ihr gut, und sie erfreute sich an den täglichen Wundern der Natur. Da steckte sie ein Samenkörnlein in den Boden und goss Wasser darauf. Wenige Wochen später reckte sich ein winziges Pflänzchen zum Licht, breitete seine Blätter aus, wuchs und streckte sich, entfaltete seine Pracht, krönte sich mit einer Blüte und verströmte betörenden Duft.
    In den Blättern, Stängeln, Blüten und Wurzeln reicherten sich gar wundersame Stoffe an, die, richtig angewendet, viele Leiden lindern oder gar heilen konnten. Andere Pflanzen wieder, die von einer göttlichen Schönheit waren, konnten teuflisch tödlich sein.
    Maria lernte, gegen welche Leiden die einzelnen Kräutlein wirkten, welche Teile sie von den Pflanzen verwenden konnte, und wie sie zu behandeln waren. Es war eine völlig neue Welt, die sich ihr erschloss und die sie faszinierte. Nicht nur die unscheinbare Brunnenkresse und die Bachbunge, die im zeitigen Frühjahr das feuchte Ufer des Flusses säumten und zu den ersten frischen Kräutern gehörten, lernte sie kennen, sondern auch viele seltene und kostbare Pflanzen, die sie noch nie zuvor gesehen hatte.
    Da wuchsen seltsam starre, mit steifen Haaren besetzte Stängel mit großen ovalen Blättern. Solange die Blätter jung waren, konnte man sie frisch verzehren. Legte man sie in Wein oder Wasser und süßte das Ganze, ergab es ein erfrischendes Getränk, das auch die Konversen gern in den Pausen zu sich nahmen. Auch Maria wusste es zu schätzen, um sich an heißen Tagen zu erfrischen. Später bildete diese Pflanze lebhaft blaue Blüten mit violetten Staubbeuteln. Ein Aufguss aus den getrockneten Blüten und Blättern wirkte schweißtreibend, fiebersenkend, ließ den Harn strömen und den Husten verstummen. Vor allem aber halfen die Wirkstoffe der Pflanze gegen die Traurigkeit der Seele. Borago hieß dieses Kraut, dessen Blütenfarbe Maria an das paradiesische Blau des Himmels erinnerte.
    Nicht nur einmal ertappte sich Maria dabei, dass sie lange in die Betrachtung einer Pflanze oder einer Blüte versank. Dann stieg wieder Schwermut in ihr auf. Wie wundervoll war doch das Leben, das Gott auf Erden geschaffen hatte. Jedem willigen Auge tat es sich kund.
    Alles wuchs, vermehrte, paarte sich. Die Vögel taten’s ungeniert und mit großer Freude. Die Schafe, die unter den Obstbäumen weideten, gebaren ihre Lämmer, die alsbald fröhlich um ihre Mütter sprangen. Die Enten, die wochenlang unsichtbar am Fluss­ufer brüteten, führten stolz ihre Kükenschar aus, und in den Nestern der Vögel piepste es aufgeregt, während die Vogeleltern unermüdlich Futter heranschleppten.
    Dieses pralle, schwellende Leben im züchtigen Klostergarten machte Maria traurig. Sie selbst durfte nicht daran teilhaben. Sie würde niemals einem Kind das Leben schenken können, es füttern, es aufwachsen und gedeihen sehen. Sie war nur Zuschauerin, stille Beobachterin. Das Leben fand ohne sie statt. Es war ein bedrückendes Gefühl, und sie kam sich völlig nutzlos vor.
    Trotz der bunten Blumen um sie herum, trotz der üppig grünen Blätter, trotz der beginnenden Reife der Früchte, für die sie Sorge trug, erfüllte sie eine unstillbare Sehnsucht. Dann ging sie durch den Garten, zwischen den Obstbäumen hindurch bis zum Fluss, wo eine kleine, unter den dornigen Ranken von Hundsrosen versteckte Gartenlaube zum Verweilen und Besinnen einlud. Den Blick auf den Fluss gerichtet, beneidete Maria das Wasser, das einfach dahinfließen konnte, wie es wollte. Es ließ sich nicht fangen, es ließ sich nicht zähmen. Sein Bett bestimmte seinen Lauf und selbst Wehre, Mühlen und Gräben hinderten es nicht wirklich daran, seinen Lauf fortzusetzen.
    Manchmal kam ein Kahn vorbei, und der junge Fischersmann, der den Kahn steuerte, bemerkte die traurige Nonne sehr wohl. Bislang hatte er sich wenig Gedanken darüber gemacht, wie sich jemand fühlte, der sein Leben hinter Klostermauern verbrachte. Er hatte geglaubt, dass dieses Leben recht einfach und beschaulich war, fest geregelt und gut gesichert. Da gab es keinen Hunger, da war man Gott nah und von der restlichen Welt voller Armut, Heimtücke, Not und Krankheiten abgeschirmt.
    Oftmals verkaufte er seinen Fang an die Klosterküchen. Fisch stellte einen beträchtlichen Anteil am

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