Die Schwester der Nonne
Speiseplan der Mönche und Nonnen, und er konnte sicher sein, dass er seinen Fang losbekam. Auch an das Marienkloster hatte er schon Fische verkauft.
Diese Nonne dort in der Laube hatte sicher keinen Appetit auf Fisch. Mein Gott, wie jung sie noch war! Er konnte nur ihr schönes Gesicht sehen, ebenmäßig und glatt, etwas blass, veredelt durch zwei wunderschöne blaue Augen. Diese Augen blickten so traurig drein, dass es ihm beinahe das Herz zerriss.
Nun war eine Nonne jemand, der sich von der irdischen Welt verabschiedet hatte. Jedem anderen Mädchen hätte er eine kleine Freude bereitet, mit einem Blumensträußchen, einem Lied oder einem kleinen Gedicht. Eine Nonne aber war kein Mädchen. Sie war ein Stück der Welt entrückt. Und soweit er wusste, war sie mit Herrn Jesus verheiratet, dem Herrn aller rechtschaffenen Christen. Eine verheiratete Frau war erst recht kein Ziel von Huldigungen und Tröstungen. Sie war unerreichbar.
Häufig beobachtete er die schöne, traurige Nonne, wenn sie in der Laube saß und auf den Fluss schaute. Einmal sah er, dass sie mit dem Handrücken die Tränen von ihren Wangen wischte. Da stoppte er seinen Kahn, beugte sich über den Rand und brach die gelbe Blüte einer Sumpfschwertlilie, die im morastigen Ufer des Flusses wuchs. Er hauchte einen Kuss auf die zarten Blütenblätter. Dann manövrierte er seinen Kahn so in die Strömung, dass er dicht an der Gartenlaube vorbeifuhr. Mit einem kühnen Schwung warf er die Blüte hinüber. Sie fiel der erschrockenen Maria direkt in den Schoß.
Maria blickte auf. Zwar hatte sie den jungen Fischer mit seinem Kahn schon häufig bemerkt, ihm aber keine Beachtung geschenkt. Er zog da auf dem Fluss vorbei wie ein Fisch oder wie ein Vogel in der Luft. Er war frei, er war lebendig, er gehörte zu der anderen Welt draußen. Vielleicht beneidete sie ihn dafür, dass er frei war, vielleicht verbannte sie ihn auch sofort wieder aus ihren Gedanken, weil es sie schmerzte.
Nun aber war er in ihre Welt eingedrungen. Er hatte ihr eine Blume herübergeworfen. Das war so ein ungeheuerliches Ereignis, dass ihr der Atem stockte. Zögernd griff sie nach der Blüte und nahm sie in die Hand. Ihre Augen suchten nach ihm, während sie die Blüte an ihr Gesicht hob. Wie zufällig streiften die zarten Blütenblätter dabei ihre Lippen.
Ihre Blicke fanden sich für einen Moment, der sich zur Ewigkeit dehnte. Es war das Bild dieses Mannes in schlichter Kleidung, mit jugendlich kraftvollem Körper, die lange Ruderstange in der Hand, als wolle er den Fluss besiegen, und einem zauberhaften verlegenen Lächeln im Gesicht, das sich ihr einprägte. Verwunderung erfasste sie, Freude und Furcht zugleich.
Doch der Fluss stand nicht still, die Zeit blieb nicht stehen, und das Boot wurde von der Strömung fortgetragen. Marias Augen folgten ihm, bis es ihren Blicken entschwand. Noch immer hielt sie die zarte Blüte in der Hand. Es war wie eine Erscheinung, und im nächsten Augenblick wusste sie nicht, ob sie das erlebt oder geträumt hatte. Nur die Lilie in ihrer Hand verriet, dass es wirklich geschehen war. Sie betrachtete die Blume. Ihr Stängel war derb und starr, zwei lanzettförmige Blätter wuchsen aufrecht daraus empor. Darüber wurde der Stängel von drei hauchzarten gelben Blütenblättern gekrönt, die sich wie Zungen wölbten. Im Inneren der Blüte ragten drei kleinere Blütenblätter hervor.
Der Gegensatz zwischen der starren Härte der Pflanze und der Zartheit der Blüte berührte Maria. Ganz sacht strich sie mit den Fingerspitzen darüber und glaubte leichte Vibrationen zu verspüren. War das ein Zeichen des Himmels?
Sie verbarg die Lilie unter ihrer Tracht, während sie zurück zum Kloster ging. Die Konversen saßen noch lachend und schwatzend unter den Bäumen und hatten von all dem nichts mitbekommen.
Nach der Vesper legte Maria die Lilie zwischen die Seiten der Bibel, die ihr zum Zweck des stillen Studiums übergeben worden war. Obwohl sie sehr müde war, konnte sie in dieser Nacht schlecht schlafen. Unruhig wälzte sie sich auf ihrem Lager umher. Einmal schreckte sie auf, weil sie etwas auf ihrem Gesicht spürte. Es war die Nachtschwester, die das Dormitorium kontrollierte.
»Geht es dir nicht gut, Maria?«, wollte sie wissen. »Du hast im Schlaf gestöhnt. Aber es scheint kein Fieber zu sein.«
Maria schüttelte verstört den Kopf.
»Es waren wohl schlechte Träume«, erwiderte sie.
Die Nachtschwester runzelte die Brauen.
»Schlechte Träume? Ich
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