Die Schwester der Nonne
und lächelte Maria aufmunternd zu. »Ich verstehe, dass du dir überflüssig vorkommst. Aber du hältst keine Arbeit durch, wenn du nicht endlich isst. Du schadest dir nicht nur selbst, sondern auch deiner Arbeitskraft. Ich verstehe, dass du traurig und verzweifelt bist. Aber es bringt gar nichts, wenn du dich aufgibst. Die Welt ist so schön, und es gibt so viel zu tun. Schau, der Frühling erweckt die Natur zum Leben, und draußen sprießt das Grün, Blumen erblühen und die ersten Insekten erobern die Luft. Du solltest dir an diesem Aufbruch ein Beispiel nehmen.«
Maria schlug die Augen nieder. Gundula meinte es gut mit ihr, aber sie konnte sich nicht in Marias verwundete Seele hineinversetzen. Sie kannte nichts anderes als dieses triste Leben hinter Klostermauern, dem sie so viel Erfreuliches abgewinnen konnte. Bei Maria war das nicht so. Nicht nur die Trennung von ihrem Vaterhaus, die Trennung von Katharina, der Verlust der Welt, die sie bis dahin kannte und liebte, bereitete ihr großen Kummer. Sie fühlte sich lebendig begraben, verletzt und gedemütigt. Der Gedanke, dass sie dieses steinerne Gefängnis niemals wieder verlassen würde, schnürte ihr den Hals zu. Nicht einmal im Tod würde sie frei sein, denn der Friedhof des Klosters befand sich gleich hinter der Klosterkirche.
»Ich werde dir ein bisschen die Zeit vertreiben und aus der Heiligen Schrift vorlesen«, sagte Gundula und zog einen Stuhl an Marias Bett. Sie legte das aufgeschlagene Buch auf die Knie und beugte sich darüber. Ihre Stimme blieb leise, aber für Maria klar und verständlich.
»Natürlich tue ich nur so, damit es aussieht, als würde ich dir vorlesen. Nun überlegen wir mal, was wir mit dir machen. Also, ich vermute, dass Küchenarbeit für dich zu schwer ist. Außerdem bist du sie nicht gewohnt.« Sie wehrte lachend mit der Hand ab, als Maria stumm einen Einwand andeutete. »Ich weiß, ich weiß, du tust alles, was von dir verlangt wird, aber man kann die Pflichten ja ein kleines bisschen angenehmer gestalten, indem man sie sich aussucht. Also, Küchenarbeit kommt nicht in Betracht. In der Wäschekammer hast du schon gearbeitet, das ist zumindest etwas leichter als in der Küche, und feine Handarbeiten kannst du gut anfertigen. Aber immer unter den gestrengen Augen der Kleiderverwalterin bist du bestimmt nicht glücklich. Bleibt noch die Schreibstube. Lesen und Schreiben kannst du besser als die anderen, und es würde dir bestimmt leicht fallen. Allerdings, den ganzen Tag in dem Zimmer sitzen und Buchstabe um Buchstabe abmalen, verdirbt dir nur die Augen und macht den Buckel krumm. Nein, du musst raus aus den Mauern. Feldarbeit ist natürlich auch zu schwer für dich. Du bist für feinere Arbeiten geschaffen.«
Sie unterbrach sich, als eine ältere Schwester hereinkam und einen prüfenden Blick zu ihnen hinüber warf. Gundula murmelte einige lateinische Worte und nickte der Schwester lächelnd zu. Diese schien beruhigt und verließ den Raum wieder.
»Ich weiß etwas für dich«, fuhr Gundula ungerührt fort. »Da bist du an der frischen Luft, und doch ist die Arbeit nicht zu schwer. Du tust etwas Nützliches, und es wird dir bestimmt Freude bereiten. Unten am Fluss befindet sich der Klostergarten mit lauschigen Winkeln und vielen duftenden Kräutern, mit Blumen und kleinen Wasserbecken, mit Gemüse und Bäumen. Dort wirst du wieder richtig gesund werden.«
Sie bemerkte Marias skeptischen Blick.
»Wie du da hinkommst? Lass das nur meine Sorge sein. Ich werde das irgendwie bewerkstelligen. Ich habe da meine kleinen Geheimnisse.«
Maria schloss die Augen und träumte von grünen Bäumen, einem schwellenden Fluss, zwitschernden Vögeln und dem Duft unzähliger bunter Blumen. Leise Tränen rannen über ihre Wangen.
Es war wie das Erwachen aus einem Albtraum, als Maria zum ersten Mal den Klostergarten betrat. Eine Nonne, die für den Garten verantwortlich war, führte Maria umher. Maria glaubte, sich im Paradies wiederzufinden. Weiß der Himmel, wie Gundula es geschafft hatte, dass Maria für die Gartenarbeit eingeteilt wurde. Aber sie hatte es geschafft, und nun glaubte Maria zu träumen.
Es grünte und spross in verschwenderischer Fülle trotz des noch zeitigen Frühjahrs. Die Erde duftete feucht und schwer, der immergrüne Buchs umsäumte in dichten und exakt geschnittenen Hecken die verschiedenen Beete. Schwester Rosalinde – welch passender Name! – erklärte die verschiedenen Abschnitte des Gartens.
»Alles, was auf
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