Die Schwester der Nonne
hoffe, du hast gebeichtet. Etwas Böses drückt auf deine Seele.«
Maria erschrak. Beichten? Sie musste beichten, dass ihr der Jüngling eine Lilie zugeworfen hatte. Das hatte sie vollkommen vergessen. Sie musste es am nächsten Tag unbedingt nachholen.
Seltsam, es widerstrebte ihr, das Erlebnis zu beichten. Sie hätte dieses Geheimnis gern für sich behalten, aber das war nicht möglich. Schließlich hatte sie ein Gelübde abgelegt. Solche Dinge gehörten nicht mehr zu ihrem Leben. Kein Mann durfte ihr etwas schenken, auch keine Blume. Vor allem aber durfte sie ihn nicht wiedersehen.
Am nächsten Tag richtete sie es so ein, dass sie in dem Teil des Gartens arbeitete, der vom Fluss am weitesten entfernt lag. Sie konnte jedoch nicht verhindern, dass ihre Gedanken um das Boot kreisten. Ob er gerade vorbeifuhr? Ob er enttäuscht war, wenn er sie nicht sah?
Sie stach sich an einer Distel und zupfte die falschen Pflanzen aus, weil sie nicht auf ihre Hände achtete. Sie trat auf die Hacke und bekam den Stiel an den Kopf. Dann stieß sie den Eimer um und durchnässte sich die Füße.
Ihr Herz klopfte heftig, und ihr schwindelte. Was war nur mit ihr los? Und gebeichtet hatte sie auch noch nicht.
Die Glocke von der Klosterkirche rief zur Vesper. Maria presste die Faust in den schmerzenden Rücken und richtete sich stöhnend auf. Sie hatte an diesem Tag viel geschafft, aber sie fühlte sich nicht froh. Ja, sie war sogar etwas verärgert. Warum versteckte sie sich? Was konnte ihr dieser Mann tun?
Langsam folgte sie den Konversen, die sich am Steintrog wuschen und dann zur Kirche gingen. Maria überlegte, ob die Lilie ein Zeichen des Himmels war oder eine Versuchung des Teufels. Barg dieser paradiesische Garten gar eine Prüfung für sie?
Sie kam zu keinem Schluss und wusste nicht, mit wem sie darüber hätte sprechen können. Vielleicht war es am besten zu beichten und so ihr Gewissen zu entlasten.
Sie reinigte Hände und Gesicht am steinernen Trog und lief hinüber zur Kirche. In doppelter Reihe begaben sich die Nonnen zum Gebet in die Kirche. Die Konversen schlossen sich an, hatten aber ihren eigenen, streng getrennten Bereich. Maria blieb stehen. Für einen Moment war sie nicht sicher, wohin sie gehörte. Jemand stieß sie an. Es war Gundula.
»Wo steckst du denn?«, flüsterte sie ihr zu. »Seit du im Garten arbeitest, bekommt man dich gar nicht mehr zu Gesicht.«
»Es gibt so viel zu tun. Wir beten draußen.«
»Das ist sicher gottgefällig«, scherzte Gundula. »Jedenfalls bekommt es dir gut. Du hast richtig rosige Wangen.«
»Ich fühle mich auch gut«, gab Maria zurück und unterdrückte das Zittern ihrer Hände.
Gundula legte ihre Hand auf Marias.
»Ist wirklich alles in Ordnung?«
Maria nickte stumm, bekreuzigte sich und kniete nieder. Sie musste unbedingt beichten.
Nach der Vesper ging sie langsam hinüber zum Beichtstuhl. Einer der Brüder des Thomasklosters nahm den Nonnen die Beichte ab. Nur zu diesem Zweck bekamen die Mönche Zutritt zum Nonnenkloster.
Eine Ausnahme war Propst Benedictus, der wesentlich größere Befugnisse besaß. Er war verantwortlich für die seelsorgerische Betreuung der Nonnen und nahm auch an bestimmten Tagen die Beichte ab. Zudem bestimmte er über die Aufnahme von Novizinnen ins Kloster, weihte die Äbtissin, kontrollierte die Wirtschaftsbücher und das gesamte Kloster mindestens einmal im Jahr. Er vertrat außerdem die Interessen der Äbtissin auf dem Generalkonzil, auf dem Frauen grundsätzlich keinen Zutritt hatten. Er unterschrieb wichtige Urkunden und Verträge, und konnte sogar Besitzveränderungen und Finanzgeschäfte über den Kopf der Äbtissin hinweg tätigen.
Der Vorhang am Beichtstuhl war zugezogen, und Maria konnte nicht erkennen, wer die Beichte abnahm. Sie kniete sich nieder.
»Gelobt sei Jesus Christus, der Herr und das Licht.«
»Amen«, erwiderte der Geistliche. Maria konnte nicht erkennen, ob es die Stimme des Propstes war. Plötzlich überlief sie ein Schauer. Sie hatte das Gefühl, dass auf der anderen Seite des Gitters ein Untier hockte, ein Raubtier, das im nächsten Moment hervorstürzen und sie zerreißen würde.
»Erleichtere deine Seele und beichte Gott deine Sünden«, forderte der Geistliche sie auf. Maria hatte bereits die Hände gefaltet, da stockte sie. Gott? Ja, Gott sollte es hören, aber nicht dieser Mann da hinter dem Vorhang.
»Ja, Pater, ich werde Gott beichten«, erwiderte Maria, erhob sich und verließ die Kirche.
Der
Weitere Kostenlose Bücher