Die Schwester der Nonne
Arbeit. Es wäre wohl höchst unklug gewesen, in dieser Situation der Äbtissin unter die Augen zu kommen. So schlich Maria möglichst unauffällig in den Garten hinaus. Die Konversen waren im Gemüsegarten beschäftigt. Sie achteten nicht auf Maria, die traurige Nonne, die immer sehr zurückgezogen lebte und sich auf Grund ihres Schweigegelübdes ohnehin nicht an den Gesprächen, Scherzen und Gesängen beteiligte.
Maria lief in den Obstgarten, wo einige Schafe angepflockt standen und sich das saftige Gras, das unter den Bäumen wuchs, schmecken ließen. Weiter hinten murmelte der Fluss. Schlagartig waren die Erinnerungen wieder da. Der Traum! Sie hatte von diesem Fischer geträumt und dass sie sich im Wasser geliebt hatten. Oder war das Wirklichkeit gewesen? Der Traum fühlte sich so real an. Immer noch vibrierte ihr ganzer Körper von den genossenen Liebesfreuden.
Die frische Luft klärte ihre Gedanken, der Kopfschmerz ließ nach. In einer plötzlichen Gefühlsregung griff sie nach dem schweren Holzhammer, der im Gras lag und den jemand benutzt hatte, um die Pflöcke für die Schafe einzuschlagen. Sie eilte damit zum Flussufer, packte einen der Schafspflöcke und schlug ihn am Ufer in den weichen Boden. Dann setzte sie sich daneben und wartete.
Sanft plätscherte der Fluss dahin. Eigentlich hätte er Marias Gemüt mit seiner Gleichförmigkeit beruhigen müssen, aber sie blieb innerlich angespannt und recht ungeduldig. Da! Endlich tauchte das Boot von Fischer Hans in der Mitte der Strömung auf.
Maria sprang auf und winkte ihm. Sie konnte erkennen, wie ein erfreutes Lächeln über sein Gesicht flog. Er steuerte den Kahn ans Ufer. Maria fing das Seil auf, das Hans ihr zuwarf, und knotete es flink an den Pfahl. Hans sprang heraus. Nur einen Herzschlag lang schauten sie sich in die Augen, dann lagen sie sich in den Armen.
Hans fragte nicht, was geschehen war, dass Maria ihre Scheu und Zurückhaltung aufgegeben hatte. Er nahm es einfach hin und fühlte sich glücklich. Unter dem derben, schweren Stoff ihrer Nonnentracht fühlte er ihren zarten, zerbrechlichen Körper. Das rührte seinen Beschützerinstinkt. Ein warmes Gefühl erfüllte ihn, und er wollte sie nie wieder loslassen.
»Oh, Maria, wenn ich dich nur küssen dürfte«, seufzte er.
Sie hob den Kopf und bot ihm ihre Lippen dar. Zärtlich küsste er sie und schenkte ihr dabei berauschende Gefühle. Mit Erstaunen bemerkte sie, dass es die gleichen Gefühle waren wie in ihrem Traum. Sie fühlte sich federleicht und so angefüllt mit Glück, dass sie am liebsten geweint hätte. Doch heute sollte Hans keine Tränen sehen, nur ihr glückliches Gesicht. Sie setzten sich in die Rosenlaube. So blieben sie unentdeckt vor neugierigen Blicken.
»Erzähle mir von deiner Welt«, bat sie ihn.
Er nahm ihre Hände in seine, während sie sich an ihn lehnte.
»Was soll ich dir erzählen, wo anfangen, wo enden?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Etwas von der Welt draußen.«
»Da hat sich nicht viel verändert. Unser allergnädigster Landesherr, Herzog Albrecht, schlägt sich fortwährend im Dienste des Reiches auf fremden Schlachtfeldern herum und kümmert sich kaum um sein Land. Deswegen sterben wohl die Kinder, die seine Gattin, die Prinzessin von Böhmen ihm schenkt, auch gleich wieder. Wahrscheinlich fehlt ihnen die Fürsorge des Vaters.«
»Wie das?«, wunderte sich Maria. »Hat der Vater Einfluss auf ein neugeborenes Kind?«
»Aber sicher«, erwiderte Hans im Brustton der Überzeugung. »Ich würde meine Kinder alle höchstpersönlich umhegen und schützen, und nicht alles einer Amme überlassen.«
Maria lachte.
»Wir hatten auch eine Amme. Deswegen sind wir nicht gestorben. Jeder hat doch eine Amme, oder?«
»Die Kindlein des Herzogs schon. Man sagt, es sei schon das vierte Kind, das in der Wiege starb.«
»Möchtest du denn Kinder haben?«, wollte Maria wissen.
»Aber sicher, wenn ich eine liebe Frau bekomme, dann wünsche ich mir auch eine große Kinderschar.«
Maria senkte errötend den Kopf.
»Und was gibt es sonst Neues?«
»Es gab eine merkwürdige Geschichte, die Reisende und Händler zur Ostermesse erzählten. In Spanien segelte ein verrückter Seefahrer los, um den Seeweg nach Indien zu finden. Er wollte die unendlichen Reichtümer dieses geheimnisvollen Landes für die spanische Krone erobern. Als ich das hörte, habe ich mir gewünscht, ich wäre mit in seiner Mannschaft. Mein größter Traum wäre es, auf so einem großen Schiff zu fahren
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