Die Schwester der Nonne
Gehorsam aus? Wenn Judas eine Frau gewesen wäre, dann hätte sie wohl dein Gesicht.«
Maria sank auf die Knie.
»Bitte, ehrwürdige Mutter, lasst es Euch erklären.«
»Da gibt es nichts zu erklären. Meine Augen sind noch gut genug, um Unzucht zu erkennen. Es sind verbotene Genüsse, die dir nun Pein bereiten werden.«
Ihre harten Worte schnitten wie Messer in Marias Herz, und sie wusste, dass die Äbtissin es ernst meinte. Todesangst erfasste sie, als zwei Nonnen sie festhielten und zur Kellertreppe führten. Ungerührt betrachtete die Äbtissin Marias Sträuben.
»Es wird dir nichts nützen. Verbringe diese Nacht zwischen Ratten und Spinnen, zwischen Asseln und Kröten. Morgen werde ich die Strafe für dein Vergehen verkünden. Du hast mehrere Gelübde gebrochen. Vor Gottes Strafe wird dich die auf Erden erteilen.«
Die eiserne Tür schlug zu, der Riegel schnappte ein, und Dunkelheit umfing sie. Schluchzend sank sie auf das modrige Stroh.
Die Dunkelheit griff mit kalten feuchten Händen nach Maria. Sie schauderte vor Entsetzen und Angst. Sie hatte es nicht für möglich gehalten, dass sie wieder in dieses schreckliche Verlies gesperrt werden würde.
Ja, sie hatte gesündigt. Ja, sie hatte mehrere Gelübde gebrochen. Ja, sie hatte Strafe verdient. Aber war es wirklich so verwerflich zu lieben?
Sie sank auf die Knie und rettete sich in ein inbrünstiges Gebet. In ihrer Verzweiflung rief sie die heilige Jungfrau an. Sie war doch ihre Schutzpatronin! Konnte sie ihr nicht helfen, ihr wenigstens ein Zeichen der Hoffnung geben?
Doch das Zeichen blieb aus. Nach einer Zeit, die Maria endlos erschien, wurde der Riegel zurückgeschoben und die Zellentür geöffnet. Zwei schweigende Nonnen führten Maria hinaus. Durch düstere Gänge gelangten sie in einen größeren Raum. Es gab kein Fenster, kein Tageslicht. Sie wusste nicht, ob es Tag oder Nacht war. Das einzige Licht stammte von Fackeln, die in eisernen Halterungen an der feuchten Steinwand steckten.
Seltsame Geräte standen im Raum, deren Sinn Maria verborgen blieb. Ihre brennenden Augen hielt sie auf die Äbtissin gerichtet, die neben einem Pult stand.
Am Pult saß ein Mönch, vor sich Feder, Tinte und Pergament.
»Du weißt, warum du hier bist«, sagte die Äbtissin zu ihr.
Maria schüttelte stumm den Kopf und blickte sich scheu um.
»Dein Sündenregister ist lang, und es besteht der Verdacht, dass du nicht einmal richtig beichtest. Erleichtere dein Gewissen, und du ersparst dir viele Qualen.«
»Ich weiß, dass ich gesündigt habe«, begann Maria stockend. »Ich weiß, dass es verboten ist, sich mit einem Mann zu treffen.«
»Wer ist dieser Mann? Wie heißt er? Hat er dich verführt?«
Maria dachte an Klaus; in welchem Zustand er sich befand, nachdem man ihn aus dem Verlies des Thomasklosters freigelassen hatte. Sie hatte die schlimmen Wunden gesehen, den schrecklich malträtierten Körper. Sie hatte versucht, mit Kräutern und Umschlägen Klaus’ Leiden zu lindern und dabei in ein Gesicht geblickt, das voller Schmerz und Qual war. Sie dachte an Hans, an sein Lächeln, an die Wärme und Güte in seinem Blick. Würde ihn das gleiche Schicksal erwarten wie Klaus?
»Ich kenne seinen Namen nicht«, sagte sie und reckte das Kinn nach vorn. Eine trotzige, herausfordernde Geste, die den Zorn der Äbtissin erregte.
»Du vergnügst dich mit einem Mann, dessen Namen du nicht einmal kennst?«
Maria senkte den Kopf.
»Er ist ein Fischer. Hauptsache, ein Mann.«
»Du willst damit sagen, dass dich die fleischliche Lust übermannte.«
»Ja.«
»Du bist dir doch aber bewusst, dass du diese Lust unterdrücken musst, um Gott nahe zu sein. Außerdem dient die Beichte dazu, sich von diesem Druck zu befreien. Du hättest dich vertrauensvoll an deinen Beichtvater wenden sollen, anstatt an einen fremden Mann.«
Maria erinnerte sich an Gundulas Worte und spürte eine Gänsehaut auf ihren Armen.
»Ja, das hätte ich tun sollen«, gab sie leise zu. »Ich bereue es aufrichtig.«
»Wirklich?« Die Stimme der Äbtissin wurde schrill. »Ich sehe, dass du es fortlaufend an Gehorsam und Demut mangeln lässt. Außerdem bist du aufsässig. Die Arbeit im Garten war eine Bestrafung für dein ungebührliches Verhalten. Doch statt die Strafe anzunehmen, gibst du dich der Wollust hin. Also bin ich gezwungen, die Strafen zu verschärfen. Dir zugute halte ich, dass du geständig und reuig bist. So erlasse ich dir die hochnotpeinliche Befragung unter der Folter.«
Maria taumelte
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