Die Schwester der Nonne
Garten arbeiten kann.«
»Das ist ja schrecklich«, entfuhr es ihm.
»Nein, ich habe mich bereitwillig gefügt. Meine arme Mutter wollte nur das Beste für mich. Außerdem hat ihr die heilige Jungfrau ihre Gnade geschenkt und sie in das Himmelreich aufgenommen, obwohl sie Zwillinge geboren hatte.«
Den verständnislosen Blick von Hans bemerkte sie nicht.
»Ich bin glücklich in Gottes schützender Hand.«
»Wirklich?«, zweifelte er. »Ist es ein Zeichen von Glück, stumme Tränen zu weinen?«
Sie schwieg. Natürlich wusste sie, dass sie nicht glücklich war. Ja, sie war verzweifelt. Aber was nützte es ihr, diese Verzweiflung zu zeigen? Die Äbtissin würde sie dafür bestrafen, weil sie es an der nötigen Demut mangeln ließ.
Doch mit Hans war das etwas ganz anderes. Was sie bei der Beichte nicht wagte, konnte sie bei Hans. Auf einmal schien es möglich, dass sie ihr Herz ausschüttete. Sie warf ihm einen scheuen Seitenblick zu. Nein, es geziemte sich nicht, nicht im normalen Leben und erst recht nicht als Schwester der Marienmägde.
Sie gab sich einen Ruck.
»Es war nett, dass du mich besucht hast, Fischer Hans. Nun aber müssen wir scheiden, und wir dürfen diesen Besuch nicht wiederholen. Gott sei mit dir und Petri Heil.«
Er blickte sie lange an.
»Petri Dank. Gott wird entscheiden, was für uns beide richtig ist.« Dann sprang er ins Boot. Sie warf ihm das Seil zu, während er die Ruderstange aufnahm und den Kahn in den Strom bugsierte.
Lange blickte sie ihm nach. Er drehte sich mehrmals um und winkte. Kurz bevor das Boot ihren Blicken entschwand, hob sie die Hand zum Gruß. Hans konnte nicht mehr sehen, wie leise Tränen über ihre Wangen rollten.
Maria versuchte sich einzureden, dass es richtig war, sich von Hans fern zu halten, doch sie wusste im gleichen Moment, dass das unmöglich war. Wie der Fluss dem Meer zuströmt, so strömte alles in ihrem Inneren zu Hans hin. Sie konnte sich diesen Drang nicht erklären, aber je mehr sie sich dagegen wehrte, umso heftiger wurde er. Sie sehnte sich danach, ihm nachzugeben, sich mit dem Fluss forttragen zu lassen.
In der Nacht träumte sie vom Fluss der Leidenschaft, der sie mit sich riss. Sie fühlte das Wasser wie Seide an ihrem Körper, hörte das Glucksen und Rauschen, das Sprudeln und Gurgeln. Gischt sprühte in ihr Gesicht, nahm ihr die Sicht und den Atem. Sie strampelte und wehrte sich, ruderte und rang nach Luft. Doch das Wasser hielt sie und zog sie hinab.
»Maria, wach auf.« Es war Gundulas Stimme, die sie in die Wirklichkeit zurückholte. »Was hast du? Du schlägst um dich.«
Maria fuhr vom Bett hoch und keuchte. Noch begriff sie nicht, wo sie sich befand.
»Du bist in deinem Bett.« Gundulas Stimme beruhigte sie etwas. Einige andere Schwestern umstanden ihr Bett und blickten, teils neugierig, teils besorgt, auf sie herab.
»Ein Traum«, flüsterte Maria. »Es war nur ein Traum.«
»In letzter Zeit träumt sie recht oft«, stellte eine der Schwestern fest. »Vielleicht ist sie vom Teufel besessen.«
»Ach, Unsinn«, widersprach Gundula. »Ihr liegt bestimmt das Abendessen etwas schwer im Magen. Komm, Maria, ich bringe dich in die Apotheke und bereite dir einen Kräutertrunk, der dich ruhig schlafen lässt.« Sie wandte sich um.
»Und ihr, Schwestern, begebt euch wieder zu Bett. Es ist alles in bester Ordnung.«
Gehorsam suchten die Schwestern ihre Schlafstätten auf, während Gundula durch die Gänge zur Apotheke eilte, gefolgt von der verwirrten Maria.
Die Apotheke befand sich neben der Krankenstation und lag in tiefer Dunkelheit.
Gundula zündete die Talglichter an, die einen gelben Schein verbreiteten. Scheu blickte sich Maria um. Gundula drückte sie auf einen Schemel und kramte in einem Regal herum. Sie holte verschiedene Fläschchen und Gläschen hervor und stellte sie auf den Tisch.
»So, da haben wir Baldrian und Melissenkraut und Fenchelknolle. Daraus braue ich dir einen Tee, nach dem du schläfst wie ein kleines Kind an Mutters Brust.«
Maria seufzte und wischte sich die feuchte Stirn.
»Die Träume kommen, ohne dass ich sie will. Gibt es kein Kraut, das die Träume verhindert?«
»Was sind das für Träume?«, wollte Gundula wissen.
Maria senkte den Kopf.
»Das ist schwer zu sagen. Sie sind so wirr. Ich verstehe sie nicht. Vielleicht ist wirklich der Teufel in meinen Gedanken.«
»Der Teufel? Träumst du denn von Feuer und Schwefel? Träumst du sündige Dinge?«
»Ich … ich weiß nicht … ich träumte von
Weitere Kostenlose Bücher