Die Schwester der Nonne
und ferne Länder zu entdecken.«
»Und hat er Indien gefunden?« Hans schüttelte den Kopf.
»Er hat wohl ein Land gefunden, aber das kann unmöglich Indien sein. Die Menschen dort laufen alle ganz nackt herum. Kein Gold, kein Safran, keine Baumwolle. Er ist nichts weiter als ein Aufschneider und windiger Abenteurer.«
»Aber Indien gibt es wirklich«, sagte Maria. »Mein Vater ist Kaufmann, und er kaufte Seidenstoffe, duftende Öle und kostbaren Safran von Händlern, die in Indien waren. Sogar die Figur einer ihrer Götter habe ich gesehen.«
»Auch dieser Seefahrer namens Christoph Kolumbus berichtete gar seltsame Dinge. In dem Land, das er entdeckte, laufen Männer und Frauen fast nackt herum, und sie schlafen nicht in Betten, sondern in aufgespannten Netzen.«
Maria lachte.
»Tatsächlich? Vielleicht sind es Fischmenschen. In Indien liegen sie auf kostbaren Teppichen, erzählte uns ein Freund unseres Vaters. Der war sogar im fernen China und hat seltsame Dinge mitgebracht. An den Abenden erzählte er uns wundersame Geschichten, die wir natürlich nicht geglaubt haben. Aber nun denke ich, dass die Welt viel größer ist, als wir wissen.«
»Ja, Gottes Schöpfung ist viel wunderbarer, als wir sie uns vorstellen können«, bestätigte er.
»Hast du etwas von meiner Familie gehört?«, wollte Maria wissen. »Dem Kaufmann Hieronymus Preller?«
Hans schüttelte den Kopf.
»Nein, tut mir Leid. Ich komme kaum in die Stadt hinein, sondern verkaufe meine Fische vor dem Tor. Ich wohne auch nicht in Leipzig, sondern in einem kleinen Dorf südlich der Stadt.«
Maria musste an Katharina denken. Schade, dass Hans nichts über sie zu berichten wusste. Wie würde es ihr gehen? Ob sie ihren Klaus wiedergefunden hatte? Nun endlich begriff Maria, wie sich Katharina gefühlt haben musste, liebte sie doch ihren Studiosus von ganzem Herzen. Natürlich war es Sünde, aber es war ein so wunderbares Gefühl, etwas so Lebendiges im Herzen. Sie schmiegte sich noch enger an Hans.
Maria erlebte zum ersten Mal die Liebe. Wenn sie allein war, dann kamen ihr Zweifel, dann fühlte sie Reue und Angst. Doch war Hans da, waren all diese Zweifel vergessen. Ja, die Liebe war schön. So etwas Schönes musste ein Gottesgeschenk sein und keine Versuchung des Teufels.
Vielleicht irrten all die Prediger, wie Benedictus und seine Chorherren, vielleicht irrten auch die Nonnen, die meinten, das wahre Glück erfahre man nur in der Ehe mit dem Herrn Jesus Christus. Was war das für eine Ehe, wenn man den Mann, den man liebte, gar nicht zu Gesicht bekam, von dem nur der Geist existierte und den man nicht berühren konnte, von dem man nur ein grausiges Abbild als Gekreuzigtem sah? Noch schlimmer war, dass dieser eine Mann, dieser Jesus Christus, mit hunderten, ja tausenden von Nonnen verheiratet war! Und wie würde der Tag der Auferstehung verlaufen, an dem sich dieser eine Mann mit all seinen Frauen vereinigen sollte?
Es war so schön, einen Mann ganz für sich allein zu haben, sich seiner Liebe und Zuneigung sicher zu sein, ihn berühren und küssen zu können; einen Mann, der mit einem sprach und der einem sein Lächeln schenkte.
Es war schwer, die Treffen mit Hans geheim zu halten. Maria musste ständig die Entdeckung fürchten, und die Strafe würde gewiss grausam ausfallen. Zum Glück kümmerten sich die Konversen wenig um sie. Manchmal wurde sie von einer Nonne kontrolliert, die sie beim Arbeiten beobachtete. Doch stets arbeitete sie still und allein entweder im Kräutergarten oder bei den Blumen, so dass dieser nichts Besonderes auffiel.
Fischer Hans kam immer dann, wenn die anderen Nonnen ihre Mittagsruhe abhielten, und so ging alles eine Zeit lang gut. Lediglich Gundula bemerkte die Wandlung, die Maria durchmachte.
»Triffst du dich noch immer mit ihm?«, wollte sie wissen.
Maria nickte verschämt.
»Weißt du, dass du eine Ehebrecherin bist?«, fragte Gundula streng.
»Ja, das weiß ich«, gab Maria leise zu.
»Und was gedenkst du zu tun?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte sie mit gequälter Miene.
»Du weißt, dass ich es der Äbtissin melden muss.«
»Ja, das weiß ich.«
»Und du weißt auch, dass du dafür bestraft werden wirst?«
»Das ist mir bewusst.«
»Du würdest die Strafe annehmen?«
»Ja, denn ich habe gesündigt.«
»Bereust du es denn nicht?«
»Nein.«
»Nein?« Gundulas Augen weiteten sich. »Maria, ich verstehe dich nicht. Ich habe dir doch den Kräutertrank gegeben, damit du nicht einem Mann
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