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Die Schwester der Nonne

Titel: Die Schwester der Nonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hastings
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Hieronymus Preller als angesehener Bürger der Stadt auch einer der Ratsherren war, pflegte er eine Freundschaft mit Johannes Dümpel, dem Turmwächter. Dessen Sohn Thomas war zwei Jahre älter als die Zwillinge Maria und Katharina, und die drei Kinder wuchsen praktisch miteinander auf.
    Dümpel besaß ein Haus hinter dem Markt, unweit von Prellers Haus. Er trieb die Kühe der ganzen Stadt hinaus auf die Lindenauer Viehweiden und Fleischerwiesen. Sein Sohn Thomas begleitete ihn schon seit Jahren dabei und half ihm, vom Turm aus die Kühe zu bewachen und sie wieder einzufangen, wenn sie eigene Wege gehen wollten.
    Ab und zu besuchten Maria und Katharina ihren Freund draußen auf den Wiesen. Thomas freute sich stets über ihren Besuch, denn oftmals war es doch recht einsam draußen auf der Kuhburg, wie das Bauwerk auch genannt wurde.
    Der Turm gestattete einen weiten Ausblick über die Aue, die von mehreren Flussläufen durchschnitten wurde. Oftmals brauten sich dicke Nebelschwaden über den Wiesen zusammen und in den Sümpfen flackerten zuweilen Irrlichter auf. Wenn zur Zeit der Schneeschmelze oder des Frühjahrsregens sich die Aue in ein undurchdringliches Wasserlabyrinth verwandelte, erzählten sich die Leute unheimliche Geschichten über das dortige Geschehen. Auch Thomas wusste gar sonderliche Dinge zu berichten, die den Mädchen die Gänsehaut über den Rücken jagte.
    Zu mitternächtlicher Stunde ließ sich manchmal ein schwarzer Hund sehen, der einsame Wanderer in die nassen Wiesen lockte. So manchen hat man danach nie wieder gesehen. Auch ein Pferd ohne Kopf trieb im Wald sein Unwesen. Der Unglückliche, der sich nach ihm umdrehte, bekam von einer unsichtbaren Hand eine Ohrfeige.
    Maria und Katharina fiel natürlich im Traum nicht ein, zu nachtschlafener Zeit in die unheimlichen Auen zu gehen. Sie lauschten aber begierig den Heldenmärchen von Thomas, in denen er mit den Spukgestalten kämpfte und tapfer die Kuhherde verteidigte. Wenn sie ihm auch nicht alles glaubten, so war es doch eine hübsche Abwechslung, ihn hier draußen zu besuchen – vor allem an Tagen, an denen die Sonne schien, die ­Blumen blühten und die Wiesen erfüllt waren vom Summen der Bienen und dem anmutigen Flattern bunter Schmetterlinge.
    Katharina packte aus ihrem Bündel zwei Stückchen Kuchen aus und reichte eines Maria.
    »Lass uns essen, es wird sicher ein langer Tag.«
    »Ja, wenn Thomas uns wieder mit seinen Schauergeschichten unterhält«, kicherte Maria.
    »Ach was, er will doch nur den Beschützer spielen«, warf Katharina ein und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Hast du nicht bemerkt, dass er in letzter Zeit irgendwie anders geworden ist?«
    »Allerdings«, bestätigte Maria. »Ernster und zurückhaltender.«
    Katharina verzog die Lippen zu einem Grinsen.
    »Ja, warum denn wohl? Ich habe ihn beobachtet, wie er dich anschaut. Als … als wärst du plötzlich jemand anderes.«
    »Wie meinst du das?«
    Katharina schlug die Augen nieder.
    »Wir haben uns verändert in den letzten Jahren.«
    »Immerhin sind wir siebzehn Jahre alt und keine Kinder mehr.«
    »Eben, und Thomas auch nicht. Auf seinen Wangen sprießt ein Bart und seine Stimme ist ganz anders geworden, tiefer und männlicher.«
    »Lass das nicht unsere Amme hören. Ich glaube, sie wäre wenig erbaut davon, dass wir Thomas allein besuchen und mit ihm in den Wald gehen.»
    »Was soll uns denn geschehen? Thomas wird uns beschützen.«
    »Und wer beschützt uns vor Thomas?«
    Sie brachen beide in lautes Lachen aus. Der Gedanke war zu absurd. Thomas war ihr Freund, und das würde sich niemals ändern.
    Katharina packte ihr leichter gewordenes Bündel wieder zusammen und warf es sich über die Schulter. Maria erhob sich und richtete ihren Rock. Sie hatten beide ihre schönsten Kleider angezogen. Sie waren von gleichem Stoff und Schnitt, mit bunten Bändern verziert. Um die beiden Mädchen zu unterscheiden, trug Maria ein Jäckchen aus grünem Samt darüber, Katharina ein blaues.
    Thomas brauchte dieses Hilfsmittel nicht. Er hätte beide Mädchen auch unterscheiden können, wenn sie nackt gewesen wären, was ihm in letzter Zeit immer häufiger in den Sinn kam. In Gedanken spielte er mit dem Wunsch, in ihnen mehr als nur die Freundinnen seiner Kinderzeit zu sehen. Aber für welche sollte er sich entscheiden? Hübsch waren beide mit ihrem langen, gelockten, weit auf den Rücken fallenden Haar, den ebenmäßigen Gesichtern, kleinen roten Mündern von der Farbe reifer

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