Die Schwester der Nonne
Schwester nicht entdecken.
Katharina beobachtete Marias Bemühen. Leise lachend lief sie weiter auf die Kirche zu.
»Such mich doch«, murmelte sie und hoffte, dass sie Maria einen gehörigen Schreck einjagen würde. Fast unsichtbar im Schatten der Kirche wollte sie warten, bis Maria wirklich ängstlich wurde. Sie presste sich in eine der Nischen in der Kirchenmauer. Plötzlich gewahrte sie hinter sich eine Bewegung. Sie fuhr herum.
Im Schatten des Spitzbogens stand ein Mönch. Seine Kapuze hatte er aus dem Gesicht geschoben. Er war hager, fast dürr. Aus seiner Kutte ragten dünne, knorrige Arme von einer seltsam erdigen Farbe. Seine Gesichtshaut spannte sich ledern über den knochigen Schädel, aus dem eine lange spitze Nase herausragte. Selbst das Haar, das kranzförmig die Tonsur umschloss, wies die Farbe von erdigem Lehm auf. Er rührte sich nicht, aber seine tief liegenden, kleinen Augen starrten sie fiebrig glänzend und voller Gier an.
Für einen Moment stand Katharina wie gelähmt. Dann stieß sie einen gellenden Schrei aus. Vom Dach der Kirche flogen die Krähen mit protestierendem Gekrächze auf. Katharina raffte ihr Kleid und rannte, als wäre der Teufel persönlich hinter ihr her.
»Da bist du ja«, rief Maria vorwurfsvoll, als sie Katharina kommen sah. »Wo warst du?«
Sie stockte, als sie das kalkweiße Gesicht ihrer Schwester bemerkte.
»Was hast du denn?«
Katharina bebte am ganzen Leib. Sie packte Marias Arm und zerrte sie zum Stadttor.
»Komm, schnell.«
Widerstrebend ließ sich Maria mitziehen.
»Nun rede doch, was ist geschehen?«
»Ich … ich habe ihn gesehen«, japste Katharina, und ihre Stimme zitterte wie ihr ganzer Körper.
»Wen?«, fragte Maria verständnislos.
»Den … den schwarzen Bruno!«
»Was? Hier?«
»Ich sagte dir doch, er war es. Er erschien wie aus dem Nichts, stand an der Kirchenmauer von St. Jacob.«
»Wer weiß, wer das war. Dort gibt es viele Mönche.«
»Er war es. Er war ganz verrunzelt wie Alraun und ganz aus Erde.«
»Aus Erde?«
»Ja doch, aus Lehm. Er sah so erdfarben aus, die Haut, die Haare, und sein Blick …« Katharina schüttelte sich wie ein nasser Hund.
»Sein Blick war aus Lehm?«
»Nein, sein Blick war irre. Ich habe noch nie so schreckliche Augen gesehen.«
Nun blickte sich auch Maria furchtsam um, aber sie konnte nichts Ungewöhnliches entdecken. Der Bauer hatte seinen Ochsenkarren wieder in die Spur bekommen, und langsam strebte das Gefährt dem Dörfchen Lindenau zu. Er würde am Kuhturm vorbeikommen, Thomas zuwinken, und dieser würde freundlich zurückwinken, ihm einen schönen Abend wünschen und dann mit dem Vater das Abendessen einnehmen. Alles war wie immer.
»Wir sollten zusehen, dass wir nach Hause kommen«, drängte Maria schließlich. Mit spitzen Fingern zupfte sie Katharina eine schwarze Rabenfeder aus dem Haar und ließ sie zu Boden gleiten. »Vielleicht war es auch nur ein großer Rabe.«
Die beiden Mädchen atmeten erst wieder auf, als sie sich innerhalb der Stadtmauern befanden. Noch war es ein Stück Wegs. Sie hielten sich fest an den Händen und eilten durch die Gassen, die hinauf zum Markt führten.
Vor dem Handelshaus Preller standen zwei große Planwagen und wurden abgeladen. Über einen ausladenden Balken am Giebel, an dem eine große Rolle befestigt war, zogen die kräftigen Knechte die Ballen und Säcke an dicken Seilen hinauf auf den Speicherboden. Ein anderer schirrte die kräftigen Pferde aus und führte sie in den Stall. Sie machten einen ziemlichen Lärm, riefen sich Kommandos zu, fluchten, lachten, trieben Scherze.
»Mir scheint, wir haben Besuch«, stellte Maria fest. »Das sind nicht unsere Wagen.«
»Besuch? Hoffentlich kommt er von weit her und hat viel zu erzählen.« Katharinas fliegender Atem beruhigte sich langsam.
»Wir werden sehen. Sehen wir auch ordentlich aus?« Sie betrachtete zunächst ihre Schwester kritisch, danach sich selbst, zupfte das Kleid gerade und ordnete das Haar. Dann ergriff sie wieder Katharinas Hand. Gemeinsam betraten sie das altehrwürdige Handelshaus. Den kleinen Zwischenfall vor der Stadtmauer hatten sie in diesem Augenblick schon wieder vergessen.
Der Gast
»Wo kommt ihr denn jetzt erst her?« Die Amme schlug entsetzt ihre kurzen dicken Arme über dem Kopf zusammen. Eigentlich war es ein Wunder, dass sie diese Bewegung beherrschte, denn ihre Arme waren so kurz, dass sie kaum die Hände vor ihrem kugelrunden Körper falten konnte. Sie trug ein unförmiges,
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