Die Schwester der Nonne
dass der Magister den Mädchen Unterricht in Latein, Historie, Bibelgeschichte und Naturwissenschaften gab.
Das Lehren des Rechnens, Schreibens und Lesens übernahm er selbst oder übergab diese Aufgabe dem Kontoristen und Buchhalter seines Hauses. Ansonsten verwöhnte er die Zwillinge nach Strich und Faden, kleidete sie prächtig, stattete sie mit Schmuck, Tand und unnützem Kram wie Büchern aus.
Die Amme kämpfte vergeblich gegen diese Art der Verführung an, ebenso wie gegen die Dame Philomena.
Eines Tages hatte Hieronymus Philomena von einer Reise mitgebracht. Sie stieg aus dem Wagen und verursachte einen Auflauf auf dem Markt. Philomena fiel überall auf. Sie war groß und schlank wie eine Palme. Und sie war schön, außerordentlich schön. Ihre körperlichen Vorzüge wusste sie durch kostbare und anschmiegsame Kleidung zu unterstreichen.
Obwohl es Winter war, als sie ankam, und ihre Kleidung hochgeschlossen, konnte jeder erahnen, was sich unter den fließenden Samtstoffen und edlem Tuch versteckte. Das Oberteil ihres Kleides lag eng an und umschloss zwei wohlgeformte Brüste, die durch die Spitze, die den tiefen Ausschnitt wegen der Kälte bedeckte, immer noch durchblitzten. Vom weichen Ledergürtel um ihre schlanke Taille fiel der lange, weit ausgestellte Rock in ebenmäßigen Falten bis auf den Boden und lief in einer langen Schleppe aus, die von einer Zofe getragen werden musste, um nicht zu verschmutzen. Über dem Kleid trug Philomena einen pelzbesetzten Mantel und auf dem Kopf eine kleine perlenbesetzte und bestickte Kappe im orientalischen Stil.
Sie hatte rabenschwarzes glänzendes Haar, das ihr bis zum Hinterteil reichte und das sie zu einem dicken Zopf geflochten hatte, der mit golddurchwirkten Bändern umschlungen war. Ihre Haut schimmerte golden, und in ihrem ebenmäßigen Gesicht wurden grünliche Katzenaugen von einem Kranz dunkler Wimpern eingefasst.
Stolz wie ein Gockel hielt Hieronymus bei ihrer Ankunft ihre schmale Hand und geleitete sie unter dem Staunen der Gaffer ins Haus.
»Das ist Philomena«, sagte er. »Sie wird bei uns bleiben.«
Das war alles. Keiner wusste, wo sie herkam, keiner wusste, wer sie war. Sie war einfach da, teilte mit ihm Tisch und Bett und nahm die Pflichten einer Hausherrin wahr. Doch sie war weder mit Hieronymus verheiratet, noch schien er diese Absicht überhaupt zu hegen. Philomena gehörte einfach dazu, wie der Buchhalter, die Amme, die Kinder, die Handelsgehilfen. Nur, dass sie das Vorrecht besaß, nachts an seiner Seite zu sein.
Sie mischte sich nie in innerfamiliäre Angelegenheiten ein. So lange die Zwillinge klein waren, überließ sie es völlig der Amme, sich um die Mädchen zu kümmern und sie zu erziehen. Später dann, als die beiden zu jungen Damen heranreiften, suchte sie freundschaftlichen Umgang mit ihnen. Sie beriet sie in modischen Fragen, musizierte mit ihnen, oder sie machten an den Abenden gemeinsam Handarbeiten. Besonders die Gobelinstickerei hatte es Philomena angetan, und Hieronymus musste ihr die feinsten und wertvollsten Fäden besorgen.
Manchmal tanzte sie mit den Mädchen Reigentänze, die so viel Spaß machten, dass danach alle ausgelassen lachten.
Philomena kümmerte sich um den Haushalt, verwaltete den Schlüssel zur Speisekammer, beschäftigte die Mägde und Knechte, verteilte Aufgaben und Strafen, schlichtete Streit zwischen den Mägden und kümmerte sich um Hieronymus’ leibliches Wohlergehen. Er belohnte sie dafür fürstlich mit Geschenken, wunderschönen Kleidern, Schmuck und Zärtlichkeiten.
Die heimliche Hausherrin war nicht ungebildet, was die Amme zu den abenteuerlichsten Vermutungen verleitete. Sie sprach Italienisch und Provenzalisch, kannte darüber hinaus Lieder in völlig unbekannten Sprachen. Sie spielte meisterhaft die Laute, aber auch Schach und ein anderes Spiel mit schwarzen und weißen Steinen, las jedes Buch, das sie in die Finger bekommen konnte, und malte mit zarten Pinselstrichen kleine Miniaturbilder, mit denen sie das ganze Haus schmückte.
Überhaupt wirbelte sie den ganzen Haushalt durcheinander, ließ ständig die Möbel umstellen, brachte die Mägde mit ihren Sonderwünschen bezüglich der Speisenzubereitung schier zur Verzweiflung und schmückte jede Ecke des Hauses mit frischen Blumen, gestickten Kissen, Spitzendeckchen, Vorhängen, Glasschalen, Silberschüsseln und mit Süßigkeiten gefüllten Tellern. Hieronymus’ Sammelleidenschaft für allerlei exotische Dinge kam ihr dabei sehr
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