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Die Schwester der Nonne

Titel: Die Schwester der Nonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hastings
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fort, »sind seltsame flache Schiffe, eher Boote ohne Kiel, und mit nur einem Segel. Sie fahren jedoch sehr gut auf den ruhigen breiten Flüssen und werden manchmal mit langen Stangen manövriert. Sie können viel Ladung aufnehmen, die sich auf dem breiten Boden verteilt und nur wenig Tiefgang erzeugt. Ich finde, sie sind eine sehr kluge Erfindung, wie überhaupt diese Menschen dort außerordentlich klug und findig sind.
    Ihre Warenlager befinden sich im oberen Stockwerk, unter dem Dach, wegen der häufigen Überschwemmungen vom Fluss her. So sind sie geschützt. Braucht man unten in den Verkaufsräumen etwas, dann werden die Ballen, Körbe und Bündel einfach an einem Strick durch eine Luke in der Decke herabge­lassen.«
    »Ei, was erzählt Ihr für seltsame Dinge, Herr«, ließ sich wieder die Amme vernehmen. »Mir scheint, Ihr seid ein Märchenerzähler, der sich das alles nur ausgedacht hat. Wo gibt es Häuser, zwölf Fuß breit und hundert Fuß lang, voller Seide, Tee und Ge­würze, deren Küche ganz am Ende ist? Das kann nicht auf Gottes Erde sein.«
    »Nun, Ihr seid wohl eine gute Amme, aber offensichtlich auch ein Weib ohne Hirn«, erwiderte der Kaufmann Sikora spöttisch. »Selbstverständlich kann ich bezeugen, was ich erzähle, habe sogar Bilder dabei und viele Waren aus dem fernen China. Auch wenn es eine gewaltige Reise dorthin ist, befindet es sich immer noch auf Gottes Erde.«
    »Aber das Land ist doch recht gottverlassen, wie mir scheint. Und wenn Ihr länger dort gelebt hat, scheint es Euch genauso gegangen zu sein.«
    Statt wegen ihres losen Mundwerks zu zürnen, lachte der Kaufmann dröhnend.
    »Was Ihr Euch so denkt, Amme. Aber Ihr irrt Euch. Es sind sehr fromme Menschen. Nur heißt Gottes Sendbote auf Erden Buddha. Er ist dick, mit einem richtigen Schwabbelbauch wie unser Propst, und riesigen Ohrläppchen. Er ist fast nackt, trägt eine Pluderhose und Seidenschals und lächelt.« Er blickte in die mehr als skeptischen Gesichter seiner Zuhörer. »Und sie haben nicht nur einen Gott, sondern viele. Darunter sind auch Göttinnen.«
    »So sind sie Heiden«, redete die Amme dazwischen.
    »Still«, fuhr Hieronymus sie an.
    »Es gibt eine Göttin, die die Schiffe der Händler beschützt. Zu dieser beten die Kaufleute vor kleinen Schreinen, in denen ihr Bildnis steht. Sie hat grauselig anzuschauende Helfer mit richtigen Teufelsfratzen. Der eine sieht hundert Meilen weit, der andere hört hundert Meilen weit. Wenn ein Schiff in Not ist, so melden sie es der Göttin, und die eilt dem Schiff zu Hilfe. Natürlich nur, wenn die Eigner und Kapitäne ihr vorher im Schrein ge­opfert haben.«
    »Das gefällt mir, Götter, die sich bezahlen lassen«, murrte die Amme. »Kinder, ihr vergesst das alles schnell wieder. Es verwirrt nur den Geist und bringt vom rechten Glauben ab.«
    »Wie haltet Ihr es nur mit so einem Weibsbild aus?«, seufzte der Reisende, an Hieronymus gewandt.
    Der zuckte gleichmütig mit den Schultern.
    »Sie ist eben die Amme. Sie muss kein reger Geist sein, schließlich soll sie nicht mein Kontor führen. Ihr reicht ein großer Busen, und den hat sie fürwahr.« Die beiden Männer lachten dröhnend.
    »Für die leiblichen Genüsse habe ich meine liebe Philomena«, setzte der Kaufmann hinzu. Philomena lächelte liebenswürdig und neigte hoheitsvoll den Kopf. Hieronymus tätschelte ihre im Schoß verschränkten Hände und griff auch gleich etwas tiefer, was ihr einen kleinen spitzen Schrei entlockte.
    »Ferkel«, murmelte die Amme mit einem tadelnden Blick zu Philomena. Tante Brigitte schloss schnell die Augen.
    Der Gast klatschte in die Hände.
    »Mädchen, sputet euch und holt die braune Zedernholzkiste aus meiner Kammer. Aber tragt sie achtsam, damit nichts darinnen kaputtgeht. Es sind geheimnisvolle Dinge, die tausende Meilen Weges hinter sich haben.«
    Maria und Katharina sprangen auf und eilten davon, was wieder ein tadelndes Kopfschütteln der Amme hervorrief. Kurze Zeit später brachten sie die Truhe ins Zimmer. Ehrfurchtsvoll stellten sie sie vor dem Gast auf den Boden.
    »Nun, öffnet den Deckel«, forderte er sie auf. Mit vor Eifer geröteten Wangen fassten sie gleichzeitig den Truhendeckel und schlugen ihn auf. Der Inhalt wurde von einem weißen Leinentuch bedeckt.
    »Eine unwürdige Hülle für diese Kostbarkeiten«, sagte der Gast mit klagender Stimme.
    »Unwürdig?«, rief Katharina. »Das ist feinstes Leinen. Wir kennen es vom Vater, der solche edlen Stoffe auch in seinem Lager

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