Die Schwester der Nonne
ignorierte Maria.
»Nein, in Magister Siebenpfeiffers Haus wie meine beiden Kommilitonen.«
»Warum haben wir Euch noch nie gesehen?«
Klaus zuckte bedauernd mit den Schultern.
»Die Studien«, seufzte er.
Das Mahl war beendet, und Hieronymus bat seine Gäste in das angrenzende kleinere Kaminzimmer, wo sich auch seine exotische Sammlung befand. Im Kamin knisterte ein kleines Feuer und vertrieb die Kühle des frühen Sommerabends. Walburga brachte mehrere Krüge mit gewürztem Wein, und die Gäste gruppierten sich zwanglos um Hieronymus und seinen Krakauer Gast.
»Nun will ich auch das Geheimnis um meinen Gast lüften«, begann Hieronymus, »und warum ich euch alle eingeladen habe.«
Er blickte in die Runde. Die drei Studenten schauten ebenso interessiert wie die beiden Ratsherren. Nur Siebenpfeiffers Gesicht blieb undurchdringlich.
»Mein Freund Sikora ist ein Händler und Reisender wie ich, aber er hat etwas getan, das ich nicht getan habe und worum ich ihn glühend beneide. Er war im fernen Reich des chinesischen Kaisers. Wahrscheinlich fehlt mir der Mut dazu, denn die Welt ist größer und wilder, als wir es uns vorzustellen vermögen.«
»Die Welt ist endlich und mit unserem menschlichen Geist ganz gut zu erfassen«, entgegnete der Magister herablassend. »Nur für alles, was darüber hinausgeht, braucht man den Glauben.«
»Wo bliebe der Fortschritt in unserer Welt, wenn es nicht den Geist des Forschens und Suchens gäbe?«, hielt Hieronymus entgegen.
»Euer Forschen und Suchen ist nur eine Sache des Geldes«, winkte der Magister ab. »Ihr wollt mir doch nicht weismachen, dass Ihr forscht um des Forschens willen?«
»Nein«, entgegnete der Kaufmann lächelnd. »Das wäre töricht. Alles muss einen Nutzen haben. Ich bereise ferne Länder, um Handel zu treiben, das stimmt. Gleichzeitig erforsche ich diese Länder. Das Wissen über andere Völker und Kulturen erweitert den Horizont.«
Er blickte sich um.
»Indem wir interessante Dinge aus fernen Ländern zusammentragen, erlangen wir Wissen über die Lebensweise fremder Völker.«
Die Amme, die sich klammheimlich zwischen die Gäste geschoben hatte, um ihre beiden Schützlinge nicht unter so vielen fremden Männern allein zu lassen, sprang auf.
»Kinder, sofort ins Bett. Das ist nichts für eure Ohren.«
»Oh nein«, kam der doppelte Aufschrei der Mädchen. »Bitte, Vater, lass uns bleiben. So einen weit gereisten Gast hatten wir noch nie zu Besuch. Außerdem wollen wir wissen, wie es im Reich des Kaisers zugeht.«
»Und ich sage, das ist nichts für junge Damen. Ihr seid schon verderbt genug«, protestierte die Amme.
»Ich halte es auch nicht für schicklich, dass die Kinder dabei sind«, meldete sich plötzlich Tante Brigitte zu Wort.
Auf sie hatte bisher keiner geachtet, und Hieronymus wusste gar nicht, wie sie in den Raum gekommen war. Ungehalten sah er sie an.
»Ach was, Brigitte, wenn Ihr es nicht ertragen könnt, dann dürft Ihr gern gehen. Meine beiden Töchter werden es wohl überstehen.«
Katharina atmete erleichtert auf und rückte ihren Hocker ein Stück in Klaus’ Richtung. Der saß mit seinen beiden Kommilitonen auf einer Bank an der Seite und verfolgte interessiert den Disput. Er war natürlich neugierig, was der Kaufmann von China zu berichten hatte.
Brigitte zog ein beleidigtes Gesicht, setzte sich jedoch wieder.
»Ich habe euch aus verschiedenen Gründen eingeladen«, setzte Hieronymus seine einleitende Rede fort. »Euch, Magister Siebenpfeiffer, und eure Studiosi aus dem Grund, dass Ihr die Möglichkeit bekommt, eine wahrhafte Reiseschilderung zu hören und so ein unendlich fernes Land kennen lernt, ohne Euch selbst dahin zu begeben. Euch, meine Herren vom Rat, um Euch zu überzeugen, wie wichtig Handelsbeziehungen in ferne Länder sind und welchen Segen sie unserer Stadt bringen. Euch, meine geliebten Kinder, und dich, Philomena, meine kleine Nachteule, um euch Kurzweil und Unterhaltung zu bieten. Und Euch, liebe Tante Brigitte, um Euch zu ärgern.«
Tante Brigitte zischte wie eine Natter, blieb aber stocksteif und mit eisiger Miene sitzen. Dafür hopste die Amme unruhig wie eine luftgefüllte Schweinsblase auf ihrem Sitz herum, einer Kissenbank, die sie offensichtlich vorher heimlich hereingeschafft hatte. Hieronymus konnte sich nicht erinnern, sie jemals in diesem Raum gesehen zu haben. Das ausladende Hinterteil der Amme fand gerade Platz auf der Bank, was wohl der Grund für ihre Wahl gewesen war. Es gab kein
Weitere Kostenlose Bücher