Die Schwester der Nonne
er denn für ein Leben? Und das Salär ist auch nicht gerade üppig. Ein Anwalt verdient wesentlich mehr, auch ein Richter wird weitaus besser bezahlt. Der verdient sein Geld aus dem Stadtsäckel, wenn ihn der Rat als Stadtrichter beruft. Da bist du ein gemachter Mann.»
»Da müsste ich Verbrecher verurteilen«, stellte Klaus fest.
»Natürlich, dazu ist ein Richter schließlich da.« Johann schüttelte tadelnd den Kopf. »Sag mal, wozu studierst du denn das Recht? Du befindest dich an der ju … juru … hick … juristischen Fakultät.«
»Einem Dieb muss ich dann das Ohr abschneiden oder einen Finger oder ihn brandmarken lassen.« Er schüttelte sich. »Stell dir vor, ich sehe ihn nach einer Woche wieder auf dem Markt, und er schaut mich an mit nur einem Ohr. Und ich habe das veranlasst.«
Johann amüsierte sich.
»Na klar doch, als Richter ist das deine Aufgabe. Was ist daran so schlimm?«
Klaus fasste sich an sein Ohr.
»Das ist so endgültig«, murmelte er.
»Ach komm, so etwas erledigt der Henker oder Scharfrichter. Deine Hände bleiben sauber. Außerdem ist es so im Recht festgeschrieben. Du richtest dich doch nur nach den Gesetzen.«
Klaus dachte nach. Eigentlich war er auch ein Verbrecher. Was er mit Katharina trieb, wurde allerdings mit einer vergleichsweise geringen Strafe belegt. Paare, die es miteinander machten, ohne verheiratet zu sein, mussten die Schubkarre schieben. Dabei musste die Frau in der Karre sitzen und wurde vom Mann durch die Gassen der Stadt geschoben. Die Schaulustigen durften die Verurteilten mit Unrat bewerfen, was sie meist auch sehr ausgiebig taten. Und die Schande erst! Noch lange erinnerten sich die Menschen an so ein Ereignis und zeigten mit den Fingern auf sie. Nein, das konnte er Katharina wirklich nicht antun. Andererseits …
»Interessant wird es, wenn du Mörder, Brandstifter, Münzfälscher, Unzuchtreibende und Totschläger verurteilst«, fuhr Johann fort. »Ich habe erlebt, wie sie eine schwangere Frau, die Unzucht mit Tieren getrieben hat, geschoren und mit Ruten ausgepeitscht haben.«
»Hör auf, mir wird schlecht«, krächzte Klaus. Er dachte an Katharinas wundervollen Körper, der so schön und weiß und rein war wie eine Statue aus Marmor. Der Gedanke, so einen Körper zu quälen und zu verstümmeln, bereitete ihm Übelkeit.
»Du verträgst aber überhaupt nichts mehr«, beschwerte sich Melchior. »Komm, trink noch ein Bier. Das ist kein Sauerbier, sondern ordentlich gebrautes mit viel Malz und guter Gerste.«
Er schob Klaus einen neuen Krug hin.
»Sag mal, warst du schon mal verliebt?«, wollte Klaus von Melchior wissen.
»Ich?« Melchior lachte. »Wozu denn das?«
Dann überlegte er.
»Klar liebe ich das Fräulein Jadwiga. Weißt du, das ist die glutäugige Dunkelhaarige aus dem Böhmischen, die vor einem halben Jahr ins Bordell gekommen ist. Und die dralle Mechthild liebe ich auch. Die ist zwar etwas älter, aber sie ist sehr erfahren. Das habe ich gern. Ja, Bier und Wein liebe ich auch. Also bin ich verliebt.«
Klaus konnte Melchiors Logik nicht folgen. Bei dem Gedanken an Katharina wurde er plötzlich melancholisch. Er sehnte sich nach ihr. Er sehnte sich so sehr nach ihr, dass er hätte heulen können. Schlagartig wurde ihm klar, dass es nicht ihr schöner Körper war, der ihm den Kopf verdrehte. Es rumorte in seinem Herzen, bereitete ihm Schmerzen und machte ihn traurig.
Er wollte sie immer bei sich haben, seine Tage und Nächte mit ihr teilen, ohne Angst, dafür bestraft zu werden. Sie sollte die Frau an seiner Seite sein, die ihn durchs Leben begleitete. Er wollte mit ihr über die Wiesen laufen, am Fluss sitzen, ihr Gedichte vortragen und über die Sterne am Himmel erzählen. Er wollte, dass sie ihm tagsüber ihr Herz öffnete und nachts sein Bett teilte. Er wollte, dass sie vor dem Traualtar ihre Hand in seine legte.
Da begriff er: Er hatte sich in Katharina verliebt.
Erschüttert starrte er an die Wand und versuchte diese Erkenntnis mit dem Verstand zu erfassen. Das also war Liebe. Eine wunderschöne Frau mit wachem, hellem Verstand und großer Sprachgewandtheit. Er konnte sich mit ihr über die Werke Virgils und Senecas ebenso unterhalten wie über das Liebesleben von Schmetterlingen. Er konnte mit ihr Gedichte lesen oder in der Bibel. Er konnte ebenso mit ihr die Schönheit der Auenlandschaft genießen wie das Wunder eines Schneckengehäuses. Das also war Liebe. Er hätte wie ein Vogel auffliegen mögen, schwerelos in die
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