Die Schwestern des Lichts - 3
gepflückt. Er hielt ihn mit der Faust gepackt. Er legte den Pfeil des Mannes in seinen eigenen Bogen ein und zielte damit auf Chandalens Männer. Er rief ihnen etwas zu. Wir konnten nicht verstehen, was er sagte, doch sie ließen ihre Bogen fallen und streckten ihre Arme zur Seite, um zu zeigen, daß ihre Hände leer waren. Wir alle dachten, Richard mit dem Zorn sei verrückt geworden. Wir dachten, er wollte uns alle umbringen. Wir hatten alle sehr große Angst.
Dann rief Prindin etwas. Er hatte den Mann hinter Chandalens Rücken entdeckt. Dann wurde uns allen klar, daß Richard einen mit einem Speer bewaffneten Eindringling getötet hatte. Wir erkannten, daß Richard den Eindringling und nicht Chandalen hatte töten wollen. Chandalen dagegen war sich da nicht so sicher. Er meinte, Richard hätte ihn absichtlich mit dem Pfeil verletzt. Chandalen wurde noch wütender, als alle seine Männer zu Richard liefen und ihm respektvoll auf die Schulter klopften.«
Kahlan starrte ihn an. Sie konnte nicht glauben, was sie da hörte. »Richard hat mich gebeten, dir zu sagen, es täte ihm leid, daß er deine Pfeile ruiniert hat. Was hat er damit gemeint?«
»Weißt du, was ein Schaftschuß ist?«
Kahlan nickte. »So nennt man es, wenn man einen Pfeil durch einen bereits im Schwarzen der Zielscheibe steckenden schießt und dabei den Schaft des ersten spaltet. Die Gardetruppen in Aydindril haben dafür Ordensbänder vergeben. Ich habe ein paar Männer gesehen, die ein halbes Dutzend davon besaßen. Einen kannte ich, der hatte zehn.«
Savidlin griff nach hinten und zog ein dickes Bündel aus seinem Köcher. Jeder einzelne Pfeil war gespalten. »Es wäre einfacher, Richard mit dem Zorn ein Ordensband zu geben, wenn er endlich einmal danebentrifft. Aber selbst dann hätte er keine. Er hat heute über hundert Pfeile ruiniert. Es dauert lange, einen Pfeil zu machen. Man darf sie nicht einfach vergeuden. Aber die Männer wollten immer wieder, daß er es noch einmal macht, weil sie so etwas nie gesehen hatten. Einmal hat er sechs Pfeile durch den ersten gejagt, einen nach dem anderen. Wir hatten Kaninchen geschossen und brieten sie über dem Feuer. Richard saß bei uns, und als wir anfingen zu essen, wollte er nicht mitessen. Er sah aus, als wäre ihm schlecht, und er ging fort, um allein Pfeile zu schießen, bis wir fertig waren. Später, nach dem Essen, hat er dann den Mann getötet.«
Sie nickte. »Wir sollten uns beeilen und Nissel holen.« Sie sah ihn beim Gehen von der Seite an. »Savidlin, wieso haben die Männer den Kopf mitgebracht? Wie können sie nur etwas so Grausiges tun?«
»Hast du gesehen, daß der Tote einen schwarzen Strich über den Augen hatte? Damit wollte er sich vor unseren Seelen verstecken, um sich an uns anschleichen zu können. Wer mit Schwarz über den Augen unser Land betritt, tut dies aus einem einzigen Grund: um zu töten. Chandalens Männer stecken die Köpfe solcher Männer auf Spieße an den Grenzen unseres Landes, um andere davon abzuhalten, sich über den Augen schwarz zu bemalen. Dir mag das grausig erscheinen, aber am Ende gibt es dadurch weniger Tote. Du solltest nicht schlecht über Chandalens Männer denken, weil sie den Kopf mitgenommen haben. Sie haben das heute nicht zu ihrem Vergnügen getan, sondern damit in Zukunft weniger gemordet wird.«
Plötzlich kam sich Kahlan töricht vor. »Vermutlich urteile ich genau wie Chandalen viel zu schnell. Vergib mir, Ältester Savidlin, daß ich etwas Falsches über dein Volk gedacht habe.«
Er legte ihr den Arm um die Schultern und drückte sie kurz an sich. Als sie mit der Heilerin zurückkehrten, fanden sie Richard zusammengekauert in einer Ecke liegend vor, die Hände über seinem Kopf verschränkt. Seine Haut war bleich, kalt und feucht. Nissel gab ihm etwas zu trinken. Nach ein paar Minuten gab sie ihm einen kleinen Würfel eines Mittels, das er schlucken sollte. Richard mußte lächeln, als er den Würfel sah. Offenbar kannte er das Mittel. Nissel ließ sich neben ihm auf den Boden nieder und fühlte lange seinen Puls. Nachdem er wieder ein wenig Farbe bekommen hatte, mußte er seinen Kopf in den Nacken legen und den Mund aufmachen. Sie preßte die Zehe irgendeiner zwiebelartigen Frucht über ihm aus und träufelte den Saft in seinen Mund. Richard verzog das Gesicht. Nissels einziger Kommentar war ein Schmunzeln.
An Kahlan gewandt meinte sie: »Ich denke, das wird ihm helfen. Sag ihm, er soll weiterhin die Blätter kauen. Hol mich, wenn er
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