Die Schwestern des Lichts - 3
atmen und wohin sie blicken und was sie dabei sehen sollte. Er sprach auf eine Weise, daß die Worte zu nichts dahinschmolzen und statt dessen Bilder in ihrem Kopf erzeugten. Nur drei Dinge existierten noch: der Bogen, das Ziel und seine Worte. Sie befand sich in einer Welt der Stille.
Als alles um sie herum verschwand, schien die Zielscheibe in ihrem Blickfeld größer zu werden und den Pfeil anzuziehen. Es waren seine Worte, die ihr dieses Gefühl gaben und sie Dinge tun ließen, die sie nicht verstand. Sie entspannte sich und atmete aus, hielt still, ohne noch einmal Luft zu schöpfen. Sie spürte es, spürte das Ziel. Sie wußte, wann der Zeitpunkt gekommen, wann es soweit war.
Leicht wie ein Atemhauch flog der Pfeil davon – wie von selbst, als hätte er von sich aus beschlossen loszufliegen. In der Stille sah sie, wie die Federn den Bogen streiften, die Sehne auf den Armschutz prallte, sie sah, wie das Ziel den Pfeil anzog, und hörte, wie er im Kreuz einschlug. Dann spürte sie, wie der Atem ihre Lungen wieder füllte.
Es war fast wie das Freisetzen ihrer Konfessorkraft. Es war Magie, Richards Magie. Seine Worte waren magisch. Es war, als hätte man eine neue Einsicht gewonnen.
Sie schien aus einem Traum zurückzukommen. Die Welt kam zurück. Fast wäre Kahlan gegen ihn getaumelt.
Sie drehte sich um und schlang ihm die Arme um den Hals, den Bogen immer noch in einer Hand. »Richard, das war wunderbar. Die Zielscheibe ist auf mich zugekommen!«
»Siehst du? Ich hab’ dir doch gesagt, du kannst es!«
Sie gab ihm einen Kuß auf die Nase. »Das war nicht ich, das warst du. Ich habe nur an deiner Stelle den Bogen gehalten.«
Er lächelte. »Nein. Das warst du. Ich habe deinem Geist nur gezeigt, wie man es macht. Das ist es, was das Lehren ausmacht. Ich habe es dir einfach beigebracht. Mach es noch mal.«
Kahlan hatte ihr ganzes Leben in der Nähe von Zauberern verbracht. Sie wußte, wie Zauberer Dinge taten. Und genau so hatte Richard es auch gemacht. Er redete mit ihr, wie Zauberer mit ihr redeten. Es war die Gabe, die aus ihm sprach, das wußte sie, auch wenn er es nicht zugeben wollte.
Je mehr Pfeile sie schoß, desto weniger sagte er. Ohne seine Anleitung war es schwieriger, das Gespür zu bekommen, doch gelegentlich gelang es ihr. Sie wußte, wann sie es allein schaffte, ohne ihn. Es schien so zu sein, wie er sagte: eine gewaltige Konzentration.
Als sie nach und nach lernte, wie man die Welt beim Zielen ausblendete, ging er dazu über, sie abzulenken. Anfangs strich er ihr über den Bauch. Das brachte sie zum Lächeln, bis er ihr sagte, sie solle aufhören, über das nachzudenken, was er tat, und nur noch an das denken, was sie tun mußte. Ein paar Stunden später konnte sie bereits schießen, während er sie kitzelte. Manchmal jedenfalls. Es war ein aufregendes Gefühl zu spüren, wo der Pfeil hingehörte. Sehr oft schaffte sie es nicht, aber wenn es gelang, war es wunderbar. Es machte süchtig.
»Es ist Magie«, meinte sie zu ihm. »Was du tust, ist Magie.«
»Nein, ist es nicht. Jeder kann das. Chandalens Männer machen es beim Schießen genauso. Jeder, der gut wird, tut es. Es ist dein Verstand, der es tut. Ich habe dir nur geholfen, indem ich es dir gezeigt habe. Hättest du lange genug geübt, du hättest es längst von allein gelernt. Nur weil man nicht weiß, wie etwas funktioniert, heißt das noch lange nicht, daß es sich um Magie handelt.«
Sie sah ihn von der Seite an. »Da bin ich nicht so sicher. Schieß du. Ich werde dich dabei kitzeln.«
»Erst nachdem wir etwas gegessen haben. Und du noch etwas geübt hast.«
Sie trampelten eine kreisförmige Fläche Gras flach, wie ein Nest, legten sich auf den Rücken und beobachteten, wie die Vögel am Himmel ihre Runden zogen. Dabei aßen sie Tavabrot, in das Gemüse gewickelt war, Kuru und tranken Wasser aus einem Schlauch. Das Gras ringsum bot ein wenig Schutz, so daß der Wind nicht ganz so eisig wehte. Kahlan legte den Kopf auf seine Schulter, während sie schweigend den Himmel betrachteten. Sie wußte, daß sie beide darüber nachdachten, was sie tun sollten.
»Vielleicht«, meinte Richard schließlich, »kann ich meinen Verstand noch einmal abteilen, um die Kopfschmerzen unter Kontrolle zu halten. Darken Rahl meinte, genau das hätte ich getan.«
»Du hast mit ihm gesprochen? Du hast mit Darken Rahl gesprochen?«
»Ja. Genaugenommen war es hauptsächlich er, der geredet hat. Ich habe größtenteils zugehört. Er hat mir allerhand
Weitere Kostenlose Bücher