Die Schwesternschaft des Schwertes - 8
Namenlosen setzen ihren Willen nur mit körperlicher und geistiger Gewalt durch. Sie hatten nie gelernt, sich auf der psychischen Ebene zu bewegen.
Camilla und Margali zogen ihre Kurzschwerter. Es war Jahre her, seit die beiden sie zuletzt in einer Schlacht eingesetzt hatten. Doch noch ehe die Schwerter aus der Scheide glitten, ließ ein drängender Schrei sie innehalten. Mutter Judyth eilte rasch an ihre Seite. »Wir müssen Hass und Furcht vergessen, Kinder. Auch die Waffen der Angst. Einzig der Hass führt diese Bösen zu uns. Liebe und Solidarität werden unsere Stadt sichern und erhalten.«
»Aber sie haben Waffen und werden sie auch einsetzen!«
»Sie sollen erfahren, wie wenig ihre Waffen ihnen gegen die Schwesternschaft nützen.« Mutter Judyth stand hoch aufgerichtet vor den Bredhyia. »Margali, du musst jeden noch verbliebenen Hass in dir freigeben. Du musst dich von dem Fluch befreien, der dich in all den Jahren verzehrt hat. Beende das, was du heute in der Überwelt begonnen hast.«
Camillas Kinnlade sackte herunter. Margali schaute die gewählte Führerin der Schwesternschaft verdutzt und verzweifelt an. »Dazu fehlt mir die Kraft, Mutter.«
»Dann musst du sie finden, oder wir gehen unter. Der Hass in dir hat dieses Übel angezogen.«
Margali holte tief Luft. Nun verstand sie allmählich das Unrecht, das sie sich, Camilla und den Kindern angetan hatte. Als sie sich Cleindori, Shaya und ihren Ängsten in der Überwelt gestellt hatte, hatten Letztere angefangen, sich zu zersetzen. Doch der Hass auf die Namenlosen, die direkte Ursache für Jaelles Tod, war noch in ihr.
War sie stark genug, um das Böse mit Liebe zu vergelten?
»Ich werde mich bemühen zu tun, was Ihr sagt, Mutter«, erwiderte sie.
»Mehr erbitte ich nicht. Möge die gesegnete Avarra dir die Gabe verleihen, die du ersehnst.« Judyth legte die Hände auf Margalis dunkle Locken, drehte sich um und kehrte zu den restlichen Angehörigen des Kreises der Zwanzig zurück.
Camilla und Margali schauten sich an. Mit heftig klopfendem Herzen lehnten sie ihre Klingen an die Stadtmauer und gesellten sich schweigend zu den Schwestern.
Die Horde der Namenlosen kam näher und reckte Keulen, Schwerter und Messer in die Luft. Bei ihrem Anblick juckte es Camilla, das Schwert wieder an sich zu nehmen, was sie sogleich Margali anvertraute.
»Ich weiß«, sagte Margali. »Mir geht es nicht anders. Trotzdem möchte ich meinen Hass überwinden. Warum ist es nur so schwierig?«
Die ernsten Blicke aus den Reihen der Schwestern in ihrer Umgebung brachten Camilla und Margali zum Schweigen. Sie wandten sich den Angreiferinnen zu.
Die Nähe des Bösen erinnerte Margali an die Schlacht, in der Jaelle umgekommen war. Sie machte einen halbherzigen Versuch, das Ereignis aus ihrer Erinnerung zu streichen. Je mehr sie sich bemühte, die Vision zurückzudrängen und ihren Geist von Hass und Furcht zu befreien, desto schlimmer wurde alles. Obwohl es schon Jahre zurück lag, sah Margali Jaelle vor ihrem geistigen Auge mit Aquilara ringen. Margalis Hand umklammerte das Schwert, das nicht mehr an ihrer Seite hing. Hätte sie ihre Freipartnerin doch nur retten können! Die Verzweiflung stieg wie Gallenflüssigkeit in ihr hoch. Sie musste die Frauen des Bösen bezwingen!
Plötzlich ertönte ein Schrei und riss Margali aus der schrecklichen Erinnerung. Mehrere schwarz gekleidete Gestalten näherten sich der Ostmauer. Die Front der Schwestern wankte, als der Angriff des Bösen begann. Eine, nein, zwei Schwestern fielen unter den Hieben der Angreifenden leblos zu Boden.
Nein!, schrie es stumm in Margali auf. Avarra, gesegnete Mutter, lass nicht zu, dass dies passiert! Ihr Magen stülpte sich um. Sie durchforschte ihren Geist schnell nach einer Lösung, nach irgendetwas, das ihr half, das Böse zu bekämpfen. Eigenartigerweise fielen ihr Kynthas Worte ein: »Der Hass, der noch in dir ist, wird dir und uns das Böse bringen. Du musst dich Jaelles Tochter stellen, die nun die deine ist …« Und was hatte Cleindori sinngemäß gesagt?
»Ich empfinde seit Jahren keinen Schmerz mehr … Man muss sein Leben leben. Jaelle hätte es so gewollt.«
Indem Jaelle Aquilara mit in den Todes gerissen hatte, hatte sie ihren Freundinnen die Freiheit gesichert. Andere hatten auf Grund ihres selbstlosen Handelns weiterleben dürfen. Doch Margali hatte mit Hass und Furcht auf das ihr geschenkte Leben reagiert. Ein ungleicher Tausch. Der Gedanke ließ sie unweigerlich
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