Die Schwesternschaft
Wir möchten wissen, wie viele Leute auf der Insel sind und wo genau sie sich aufhalten. Wir werden euch zusammenrufen und ein paar Stunden lang bewachen. Danach werden wir genauso schnell verschwinden, wie wir gekommen sind, vorausgesetzt, dass keiner auf dumme Gedanken kommt. Alles klar?«
Tim McCarthy brachte vor Aufregung keinen Ton hervor.
»Es ist alles verdammt klar«, antwortete OâHara, verschränkte die Arme und sah sie hasserfüllt an.
»Gut«, sagte Lena. »Und ihr meint, ihr könnt uns helfen?«
Tim nickte entschieden.
Doch OâHara erwiderte: »Ich habe nicht die Absicht.«
43
Im Anflug auf Ekibastus
Samstag, 1. Januar, 18.37 Uhr
Der Motordrachen war in ein Luftloch geraten, und Kirill bekam ein flaues Gefühl im Magen. Einen Augenblick zuvor war das Fluggerät noch durch die tief hängenden Wolken gesaust, bevor es plötzlich, als seien alle physikalischen Gesetze auÃer Kraft getreten, zu fallen begann.
Yuri Glinka hatte rasch die Steuerstange an sich gezogen und die Flugrichtung geändert, um den Winkel zur Windrichtung zu verkleinern. Als der Drachen schlieÃlich auf eine warme Luftströmung stieÃ, waren sie beinahe senkrecht in die Höhe geschnellt. Der Sibirier hielt sich mit beiden Händen am Rahmen fest und verfluchte die unvorhersagbaren Manöver dieses verrückten Alten, ebenso wie das Fehlen der Sicherheitsgurte. Wahrscheinlich, so dachte er, hatte man sie entfernt, um das Gewicht des Fluggerätes zu verringern.
Nach einer Weile deutete Yuri auf die niedrige Silhouette eines Stadtrandgebietes, in dem funkelnde Lichter aufblitzten.
»In Ekibastus warten ein paar Riesenärsche auf uns!«, schrie er ins Mikrofon.
Kirill wusste sofort, was es mit diesen Lichtern auf sich hatte: Es gab eine SchieÃerei. »Fliegen wir dorthin?«, fragte er ruhig.
»Ekibastus gehört mir!«
Während seiner Zeit in der Roten Armee hatte der Sibirier einige Geschichten über Ekibastus gehört. Die erste betraf den Namen, der auf Kasachisch wortwörtlich zwei Stück Salz bedeutete, da man bei der Gründung der Stadt die Grenzen mit zwei groÃen Salzblöcken markiert hatte. Hier war im 19. Jahrhundert ein Bergbauzentrum entstanden, das sich bis heute zu einem der weltweit gröÃten Kohlevorkommen im Tagebau entwickelt hatte. Ãber dreizehn Milliarden Tonnen Rohstoff auf zweiundsechzig Quadratkilometern. Grob gerechnet waren das vierundsiebzig Millionen Tonnen Kohle pro Quadratkilometer. Ein Schatz.
Was sie während ihres raschen Anflugs von oben beobachten konnten, war vermutlich eine der üblichen Auseinandersetzungen zwischen Banden um die Kontrolle über das Revier. Beinahe reflexartig öffnete Kirill das Pistolenhalfter. »Müssen wir ausgerechnet dort landen?«, fragte er.
»Willst du deine Entwürfe haben oder nicht?«, kicherte der Alte.
Kirill stieà einen tiefen Seufzer aus.
Der Motordrachen schwenkte aufsteigend nach links. Nun konnte man die Szene besser überblicken. Rund fünfzig mit Maschinenpistolen bewaffnete Männer belagerten ein Gebäude, das aussah wie eine verfallene Fabrik.
Aus dem Gebäudeinneren flog ein Geschoss und traf direkt auf eine Baracke, hinter der sich ein paar Angreifer verschanzt hatten.
»Schöner Schuss, ihr Dreckskerle!«, schrie Yuri vergnügt.
»Wer greift an?«, rief Kirill zurück und umklammerte die Pistole.
»Es sind die Leute von Pshembayev. Von diesem Hund, der uns mit seinem Namen auf die Nerven geht.«
»Was?«
Ein Manöver, diesmal in die entgegengesetzte Richtung, hätte um ein Haar dazu geführt, dass Kirill seine Pistole fallen lieÃ.
»Kosym Pshembayev hat die Stadt gegründet ⦠und dieser Dummkopf von Pshembayev meint, er sei einer seiner Nachfahren und habe per Geburt ein Recht auf die Stadt. Aber seine Geburt interessiert mich nicht. Mich interessiert sein Tod! Ha, ha, ha!«
Eine Schusssalve wurde in ihre Richtung abgefeuert. Der Alte hatte den Drachen zu tief fliegen lassen und ihn so in die Schusslinie gebracht.
»Ihr kriegt mich nicht, ihr Säcke!«, schrie Yuri und hob die Faust zum Himmel. »Niemand nimmt es mit dem Steppenadler auf!«
Kirill fühlte sich ohnmächtig. Solange sie in der Luft waren, konnte er nicht viel ausrichten.
»Seit ich mich geweigert habe, seine Tochter zu heiraten, hat dieses ganze Durcheinander
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