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Die Schwesternschaft

Die Schwesternschaft

Titel: Die Schwesternschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger R. Talbot
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hatten, in dem ihre Schutzanzüge mit einem kräftigen Strahl warmen Wassers gereinigt wurden, zog Yuri seinen aus, und Kirill sah, dass er darunter eine Nadelstreifenhose und ein rußverdrecktes weißes Seidenhemd trug. Eine junge Frau eilte herbei und reichte ihm ein frisches Hemd sowie eine zur Hose passende Jacke. Yuri streifte das schmutzige Hemd ab und warf es auf den Boden, dann zog er das frische an und schlüpfte in die Jacke. Er holte eine rosa und bordeauxfarbene Regimental-Krawatte aus der Innentasche und band sie sich um. Zum Schluss faltete er ein kleines, ebenso gemustertes Einstecktuch, das er sich in die Brusttasche steckte.
    Dieser Alte war eine der erstaunlichsten Persönlichkeiten, denen Kirill jemals begegnet war. Als habe Glinka seine Gedanken erraten, erklärte er achselzuckend: »Bei mir daheim kleidet man sich anständig.«
    Dann deutete er auf das Obergeschoss.
    Der Sibirier befreite sich aus seinem Schutzanzug, den Yuris Gehilfin ihm sogleich abnahm. Der Alte stand bereits an der Treppe. Kirill eilte ihm nach.
    Oben warteten drei Männer auf sie. Zwei hielten einen Gefangenen mit Gesichtsverletzungen und einem gebrochenen Schienbein, das aus seiner zerfetzten Hose herausragte. Yuri baute sich vor ihm auf, während Kirill gebührenden Abstand hielt.
    Â»Wo habt ihr ihn aufgegriffen?«, fragte er.
    Der Gefangene hielt nur mit Mühe die Augen offen.
    Â»Er war dabei, Plastiksprengstoff an der Nordseite zu deponieren.«
    Yuri zog das Einstecktuch aus der Tasche, wickelte es um die Finger und fasste dem Mann unters Kinn, wobei er ihm in die blutunterlaufenen Augen starrte. »Wie oft muss ich euch eigentlich noch sagen, dass hier einzig und allein ich das Kommando habe?« Dann wandte er sich an seine Leute: »Habt ihr den Sprengsatz entschärft?«
    Â»Ja, Steppenadler«, erwiderte der Anführer der Gruppe prompt.
    Yuri wirkte zufrieden: »Gut, dann reaktiviert ihn wieder und stopft ihm das Ding ins Maul. Ich will den Rums hören.«
    Die Männer schleiften den Gefangenen die Treppen hinab.
    Yuri rief sie zurück. »Nehmt alles auf. Ich möchte, dass die kleine Darbietung heute Abend auf Pshembayevs DVD -Player läuft. Mit dem üblichen Untertitel: Eine Produktion des Steppenadlers.«
    Â»Wird erledigt!«, rief einer, bevor sie verschwanden.
    Yuri beugte sich über das Geländer und ließ das blutverschmierte Einstecktuch hinunterfallen. Dann, als sei nichts geschehen, lief er den langen Flur entlang. »Ich habe zwanzig Jahre gebraucht, um mein Reich zu festigen. Und es wird garantiert kein seit über hundert Jahren ausgestorbener Name sein, der dem Steppenadler das Zepter entreißt. Das schwöre ich dir.«
    Kirill folgte ihm. Wie üblich zog er es vor zu schweigen.
    Sie kamen an eine lange, spiegelverglaste Fensterfront. Yuri zog eine Magnetkarte aus der Tasche seines Nadelstreifenanzugs und steckte sie in das Elektronikschloss. Dann verneigte er sich vor Kirill und forderte ihn mit theatralischer Stimme auf: »Treten Sie ein und lassen Sie etwas von der Freude zurück, die Sie mitbrachten.«
    Das Büro, ein riesiger Raum, war so strahlend weiß gestrichen, dass es in den Augen schmerzte. Der Alte machte es sich in dem Sessel bequem. Inmitten dieses blendenden Weiß wirkte er in seinem Nadelstreifenanzug beinahe wie ein Außerirdischer. »Rotchko, bevor ich dir die Entwürfe zeige, möchte ich sichergehen, dass sich Gavril Derzhavin an diese Gefälligkeit erinnern wird.«
    Kirill deutete auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. Yuri nickte. Nachdem er Platz genommen hatte, legte der Sibirier, wie er es in solchen Situationen zu tun pflegte, beide Hände auf die Tischkante. In dieser Haltung war es unmöglich, heimlich nach einer Waffe zu greifen. »Mister Derzhavin schwebt aufgrund dieses Bühnenprospekts in Lebensgefahr. Ich muss herausfinden, warum. Wenn du mir hilfst, bin ich sicher, dass er sich erkenntlich zeigen wird.«
    Yuri Glinka schüttelte den Kopf. »Ehrlich gesagt, ich verstehe gar nichts. Es sind zwar viele Jahre vergangen, aber eins kann ich dir sagen: Dieser Prospekt war nichts wert. Nicht einmal für mich, der ich ihn gemalt habe. Vielleicht ist es eine falsche Spur.«
    Â»Ich bin hier, um das herauszufinden. Kann ich jetzt bitte die Entwürfe sehen?«
    Yuri schien ihm gar nicht zuzuhören. »Olga war eine merkwürdige Künstlerin«, fuhr er

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