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Die Schwesternschaft

Die Schwesternschaft

Titel: Die Schwesternschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger R. Talbot
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hatte er sich als hinreichend tüchtig erwiesen. Er hatte ihnen wortlos das Boot gezeigt, hatte das Geld genommen und war sofort verschwunden.
    Sie hatten den Hafen von Dun Laoghaire bei Dublin vor wenigen Minuten verlassen. Lena, die an Deck stand, bemerkte den eindrucksvollen Kontrast zwischen den Häusern mit ihren bunten Toren, die sich hinter der Mole mit dem Bootsverleih drängten, und dem glatten grauen Meer, über dem die beiden gewaltigen Hafenschornsteine emporragten.
    Sie war an die strengen Moskauer Winter gewöhnt und spürte die Kälte nicht. Allerdings zeigte das Thermometer, obwohl es mitten im Winter war, auch sechs Grad über Null. Dennoch war die Feuchtigkeit ziemlich unangenehm. Es nieselte die ganze Zeit, und die feinen Regentröpfchen prasselten wie winzige Nadelspitzen ununterbrochen auf ihre Schutzkleidung.
    Bei der Ausfahrt aus dem Hafenbecken waren sie, genau in der Mündung, neben einer riesigen High-Speed-Fähre der Stena Line gefahren, eines jener Schiffe, die tagtäglich in weniger als zwei Stunden Dublin mit dem Hafen des walisischen Holyhead verbanden. Vjačeslav, der am Steuer saß, hatte die alte Grand Soleil 46 mit der Gewandtheit und Erfahrung all jener daran vorbeimanövriert, die an der Schwarzmeerküste geboren wurden.
    Erst nachdem sich Lena mit ihm beraten hatte, war ihr Entschluss gefallen, statt eines Motorbootes eine Segelyacht zu wählen: So waren sie zwar weniger schnell, dafür aber sehr viel unauffälliger, zumal sie sich nun ganz in die Rolle der Sporttouristen hineinfinden konnten. Lena hatte es vorgezogen, eine Yacht in einem Bootsverleih bei Dublin und nicht etwa in dem näher bei Lambay Island gelegenen Küstenort Rush zu mieten, um ihre Spuren so weit wie möglich zu verwischen, falls Gavrils Leute ihr auf den Fersen waren.
    Wenn alles nach Plan verlief, würde sie bereits in wenigen Stunden mit dem kostbarsten Gegenstand, den eine Frau je besessen hatte, über alle Berge sein.
    Der siebenundsechzig PS starke Volvo Penta trieb sie brummend mit acht Knoten auf Lambay Island zu. Bei der Geschwindigkeit würden sie nicht allzu lange bis zur Insel brauchen. Der gleichförmige Rhythmus des Motors wirkte beruhigend. Auch in diesem Punkt hatte Roddy Fahey recht gehabt. Als Lena am Telefon etwas ungehalten nach einem moderneren Boot verlangte, hatte er nur mit einer Art Liedvers geantwortet: »The older the fiddle, the sweeter the tune.« Je älter die Geige, desto schöner der Klang.
    Arvo war unter Deck und studierte die Karten. Nun da Lena ihm die genauen Koordinaten verraten hatte, prägte er sich mit Hilfe von Google Earth die Beschaffenheit der Insel und die Lage aller Gebäude ein.
    ÄŒerubina hatte sich in der Bugkabine eingeschlossen. Die Waffen lagen ausgebreitet auf der Liege, und sie überprüfte eine nach der anderen. Ihr Kontaktmann in Dublin, ein Nordire aus Derry, hatte alles getan, um ihren Wünschen nachzukommen, aber Čerubina war nicht zufrieden. Letztendlich standen ihnen nur drei Taurus PT -92-Pistolen zur Verfügung, Nachbauten der Beretta 92, die in Brasilien in Lizenz produziert wurden, und dazu noch eine schwere Waffe: ein Sturmgewehr Steyr AUG mit einem 42-Schuss-Magazin. Ergänzt wurde das Ganze durch drei Armeemesser. Nicht gerade viel, um rund ein Dutzend Leute in Schach zu halten, aber es würde schon genügen.
    Lena stand am Bug. Sie aß ein Lachssandwich und starrte zum Horizont, wo das Grau des Meeres mit dem des Himmels verschmolz.
    Dann wandte sie sich nach Dublin um. Aus all den Gebäuden ragte lediglich The Spire, das sogenannte Monument of Light empor: eine hundertundvierzig Meter in den Himmel ragende Metallnadel, die von jedem Punkt der Stadt zu sehen war. Die übrige Küste in Richtung Norden war in Nebel gehüllt und nur schemenhaft zu erkennen.
    Lena hielt sich vorsichtig an den Stahlstagen und dann am Baum fest, erreichte die Plicht und setzte sich neben Vjačeslav. Nach einem abschließenden kurzen Schauer hatte es nun endlich aufgehört zu nieseln.
    Â»Wie geht’s voran?«
    Â»Lahm«, murmelte Vjačeslav.
    Â»Wann sind wir da?«
    Â»Die Insel ist dahinten«, erwiderte er und deutete geradeaus. Tatsächlich waren bereits die Umrisse zu erkennen.
    Plötzlich musste Lena wieder daran denken, wie Gavril sie auf seinem Hovercraft nach Sotschi gefahren hatte. Er war damals glücklich gewesen wie ein kleines Kind

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