Die Schwesternschaft
versank.
Obwohl die Rubljowka im Westen der Stadt lag, galt sie doch bei allen als das eigentliche Nobelzentrum Moskaus. In den Villen lebten Oligarchen, Neureiche, Sport- und Filmstars und vor allem Politiker. Die meisten staatlichen Machthaber â nahezu alle ehemalige KGB -Funktionäre â waren in der Rubljowka ansässig. Hier befand sich das prächtige Domizil, in dem einst Jelzin gewohnt hatte, und hier hatte Vladimir Putin seine Privatresidenz.
Diese Verquickung von Reichtum und Macht hatte in den Neunzigerjahren zu einem unglaublichen Preisanstieg geführt, sodass man heute, wenn man eine Wohnung in dem Viertel erwerben wollte, bereit sein musste, mindestens zwanzigtausend Dollar pro Quadratmeter auszugeben. Und das auch nur dann, wenn man jemanden fand, der zum Verkauf bereit war.
Kirills Ziel war die Volokonin-Klinik, die â in Anspielung auf die Zeit vor und nach dem Fall der Sowjetunion â auch die Klinik der beiden Nomenklaturen genannt wurde.
In den kleinen Gebäuden, die verstreut zwischen den Bäumen des schmucken Parks verstreut lagen, gab es dreizehn exklusive stationäre Abteilungen mit insgesamt neunzig Betten, sechs Operationssäle, einen Raum für die endoskopische und einen für die angiographische Untersuchung sowie eine Intensivstation. Auf dieser lag Gavril Derzhavin und rang mit dem Tod.
Nachdem Kirill die Scheinwerfer ausgeschaltet und den Wagen abgestellt hatte, unternahm er einen Erkundungsgang. Er hatte eigenmächtig beschlossen, Gavrils Leibwächter in der Villa Derzhavin zu lassen und vor Ort auf die Ukrainer von Taras zurückzugreifen. Diese Männer waren es zwar nicht gewohnt, jemanden auf eine Cocktailparty oder eine Vernissage zu begleiten, dafür waren sie jedoch bestens geeignet, diesen verschneiten Gebäudekomplex unbemerkt zu überwachen.
Kirills Wahl hatte auch andere, weniger taktische Gründe. Seit dem Abenteuer in Anabah hatte er blindes Vertrauen zu Taras und seinen Leuten, und er war sich sicher, dass in der Villa Derzhavin irgendjemand ein falsches Spiel spielte. Er würde bald herausfinden, wer das war, doch momentan hatte Gavril Derzhavins Gesundheit Vorrang.
Am Eingang des kleinen Gebäudes, in dem die Intensivstation untergebracht war, stand ein einziger Wachposten. Die Fenster waren durchgehend erleuchtet, dennoch wirkte alles verlassen. Kirill war sofort in Alarmbereitschaft. Er hatte andere Anweisungen gegeben: Zehn Männer in der Parkanlage, drei am Eingang, fünf im Gebäudeinneren. Irgendetwas stimmte nicht.
Der Sibirier schlug beiläufig eine andere Richtung ein und lief ein Stück auf das Haus Nummer Sieben zu, das etwa hundert Meter von der Intensivstation entfernt lag. Er drehte eine Runde um das Gebäude und zog dann, an der dunkelsten Stelle, die Pistole aus dem Schulterholster, zu allem bereit.
Er spähte um die Ecke. Alles schien ruhig. Zu ruhig.
Er schlich leise zu einer nahe gelegenen Baumgruppe, kauerte sich hinter eine Birke und wartete.
Als er den Entschluss fasste, sich wieder zu erheben und sich seinem Ziel zu nähern, spürte er den kühlen Lauf einer Schusswaffe an der Schläfe. Wer auch immer das sein mochte, er hatte sich sehr geschickt versteckt.
»Erwischt!«, rief eine Stimme. »Was kriege ich dafür?«
Kirill musste lachen. »Entschuldige Taras«, sagte er und drehte sich zu ihm um. »Ich werde mir nicht mehr herausnehmen, deine Arbeit zu kontrollieren.«
»Mach, was du willst«, erwiderte der Ukrainer und lieà die Waffe sinken. »Ich hätte dasselbe getan.«
Neben ihm stand ein zweiter Mann, beide trugen weiÃe Overalls, die in dem verschneiten Park ganz offensichtlich zur Tarnung dienten.
Erst jetzt gab Taras ein Zeichen in Richtung des Gebäudedaches, wo ein bisher unsichtbarer Scharfschütze nun das Gewehr sinken lieÃ. Kirill war zufrieden: Jetzt musste er nur noch prüfen, ob Gavril auch hinsichtlich der medizinischen Versorgung in guten Händen war.
Taras begleitete ihn bis zum Eingang. Kirill nannte das Kennwort, trat ein und eilte in den Wartesaal.
AuÃer zwei Ukrainern, die an der Tür standen und ihn militärisch grüÃten, traf er dort Nadja an. Die junge Frau war sichtlich beunruhigt.
»Wie geht es ihm?«, erkundigte er sich sofort.
»Die Ãrzte wollen sich auf nichts festlegen«, antwortete sie aufgeregt. »Und ich weià aus Erfahrung, dass das kein gutes Zeichen
Weitere Kostenlose Bücher