Die Schwingen des Todes
dieser Zeit sagte er mir, es ginge aufwärts. Wie würde das zu Ephraims laufenden geschäftlichen Konflikten mit Chaim passen?«
Eine gute Frage. »Vielleicht hat er es mehr als einmal gemacht.«
»Dann hätte er regelmäßig ins Ausland reisen müssen - und ich hab dir schon gesagt, dass das nicht sein kann. Wir sind wieder am Ausgangspunkt.«
»Tja, vielleicht hatte er eine neue große Sache geplant, aber dieses Mal kam Ephraim dahinter.«
»Und wie hätte er es rausfinden sollen? Offen gesagt, die beiden mochten sich nicht. Sie haben nur selten miteinander geredet, und auch das nur um des Familienfriedens willen. Ephraim hielt Chaim für einen selbstgerechten Spießer, und Chaim hielt Ephraim für einen verantwortungslosen Versager. Sie haben ihre privaten und geschäftlichen Angelegenheiten sehr getrennt gehalten.«
»Aber es gab Berührungspunkte.«
»Sehr begrenzte, ja.«
»Vor allem im Geschäft.«
»Ja.«
Das Lager, dachte Decker. Ephraim hat im Lager gearbeitet. »Wie wär's damit, Jonathan? Vielleicht ist Chaim nicht ins Ausland gefahren, aber was war mit der Ware? Hat er aus Europa oder Israel importiert?«
»Die Familie handelte nach dem Grundsatz: Große Mengen, kleiner Preis. Sie kauften billigere Sachen aus Asien, vieles aus Korea.«
»Ist Haifa nicht ein wichtiger Durchgangshafen für Ware aus Asien? Und Rotterdam auch? Ich meine, es ist eine Kleinigkeit, Computer, Stereoanlagen, Videorecorder oder CD-Player hinten aufzuschrauben und ein Dutzend Beutel Ecstasypillen hineinzulegen. Und es braucht gar nicht einmal so viel zu sein. Angenommen, man bringt zehntausend Pillen pro Ladung ins Land - eine solche Menge lässt sich in großen Elektrogeräten problemlos verstecken. Bei zwanzig Dollar Verkaufspreis pro Pille bringt jede Ladung eine Viertelmillion. Und wie viele Ladungen bekam Chaim im Jahr?«
Es war eine rhetorische Frage. Jonathan gab keine Antwort. »Es ist leichter, das Zeug in Waren zu verstecken, als es mit Kurieren rüberzubringen«, erklärte Decker. »Und viel praktischer. Selbst wenn der Zoll Drogenkontrollen durchführt, überprüfen sie vielleicht ein, zwei Paletten. Sie filzen niemals die gesamte Ladung ohne einen konkreten Verdacht, richtig?« Decker wurde lebhaft.
»Eines Tages vergleicht Ephraim die Nummern auf der Liste mit denen der Ware, da fällt bei einem Video die Rückwand ab. Er entdeckt einen Beutel Pillen, die aus Versehen übrig geblieben sind. Weil er früher selbst drogensüchtig war, weiß er sofort, was gespielt wird. Er geht zu seinem Bruder, um ihn zur Rede zu stellen, aber.«
»Vergiss es«, sagte Jonathan ruhig.
»Was?«
»Ich sagte, vergiss es!« Jonathans Miene wurde eisig. »Chaim etwas anzuhängen macht weder Ephraim noch Shayndie wieder lebendig. Die Familie ist schon zerstört. Hörst du, Akiva? Zerstört. Meine Frau ist zerstört! Ich mache dabei nicht mit. Ich will nicht noch mehr Unglück über alle bringen.«
»Auch wenn es Beweise gibt, dass Chaim Ephraim ans Messer geliefert hat?«
»Aber diese Beweise hast du nicht, oder doch?«
»Nein, noch nicht.«
»Ich glaube das nicht eine Sekunde!« Plötzlich verzog sich Jonathans Gesicht, und Tränen rollten in seinen Bart. »Wenn du jemandem an den Karren fahren willst - oder musst - dann mir!«
»Wovon redest du, Jon? Was ist los?«
Ohne Warnung riss Jonathan den Wagen nach rechts und hielt am Straßenrand. Er stellte den Motor ab und sackte schluchzend über dem Lenkrad zusammen. Als er zu reden begann, war er kaum zu verstehen.
»Ich hab's vermasselt, Akiva«, stieß Jonathan hervor.
»Was? Wie?« Decker berührte seine Schulter und legte dann d en Arm um ihn. »Komm, so schlimm kann es nicht sein. Sag's mir.«
»Doch, es ist so schlimm.« »Sag's mir trotzdem.«
Er hob den Kopf. »Ich hab's vermasselt. mit Shayndie. Ich hab dich angelogen. Ich. hab gelogen.« Decker wartete. Er spürte sein Herz in der Brust hämmern. »Sie hat mich angerufen - Shayndie hat mich angerufen.« Decker stockte der Atem. »Wann?«
»Am Morgen, als sie ermordet wurde! Deswegen war es so ein Schock! Ich hatte drei Stunden vorher noch mit ihr gesprochen.«
»Also gegen sieben Uhr früh«, erwiderte Decker. »Hat sie dich zu Hause angerufen?«
Der Rabbi nickte. »Sie rief mich an.« Er hielt mit einem schweren Seufzer inne. »Sie sagte, es ginge ihr gut... es würde sich jemand um sie kümmern, aber ich dürfte es keinem verraten nicht mal ihren Eltern, vor allem nicht ihren Eltern und auf keinem Fall
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