Die Schwingen des Todes
Stille zurück. Das Trommeln des Regens auf das Wagendach ging abrupt in ein Prasseln von Hagelkörnern über. Unwillkürlich brach ihm der Schweiß aus; auch sein Herz begann zu rasen. Im Wagen stank es nach Schimmel und Fäulnis.
Es roch nach einer verdammten Falle.
Decker nahm seinen Schirm und stieg aus. Er rannte zur umlaufenden Terrasse des Hauses unter das Vordach.
Er wog seine Möglichkeiten ab. Viel nachzudenken gab es nicht, denn ihm blieben nicht viele Alternativen. Er konnte sich verstecken. oder weglaufen.
Sein Herz hämmerte.
Dann fiel ihm das Handy ein. Er angelte es aus der Tasche, tippte rasch Jonathans Nummer ein, drückte den grünen Knopf und hörte ein Freizeichen, obwohl es stark rauschte.
Sekunden vergingen.
»Na los, du Scheißding!«
Eine weitere Sekunde verging. Dann klingelte es.
»Danke, lieber Gott!«
Erstes Klingeln.
»Geh ran, Bruder, geh ran!«
Zweites Klingeln.
»Hallo?«
Noch nie hatte Jonathans Stimme so gut geklungen. »Hey, ich bin's, und ich hab ein Riesenproblem.«
»Was?« Das Knistern und Rauschen drohte jeden Augenblick d ie Verbindung zu unterbrechen. »Kann ich dich zurückrufen, Akiva? Die Verbindung ist schlecht.«
»Leg nicht auf!«, rief Decker. »Ich befinde mich im Niemandsland - irgendwo in den Hügeln zwischen Quinton und Bainberry, ungefähr zehn Minuten von Quinton entfernt. Richtung Bainbury gibt es eine unauffällige Abzweigung, eine Seitenstraße.«
»Akiva.«
»Sei still und hör zu, Jonathan. Man kommt zu einem Holzhaus, das wie eine verfallene Pension aussieht. Wenn ich Glück habe, ist es ein Puff. Wenn nicht, wird gleich jemand auf mich schießen.«
»O mein Gott!«
»Hör zu! Wenn ich mich nicht in fünf Minuten wieder melde, musst du herkommen und mich suchen. Was immer du tust, ruf nicht die Polizei in Quinton, sondern die Staatspolizei, verstanden?«
»Akiva.«
»Ich muss los.« Er schaltete das Handy aus und steckte es in die Tasche. »Hey, Plunkett, hier bin ich.«
Der Taxifahrer drehte sich um und kam auf ihn zu. »Was machen Sie denn hier?«
»Ich hab Platzangst.« Deckers Stimme war kalt. »Und ich werde ungeduldig. Ja oder nein?« »Alles klar«, erwiderte Plunkett. »Beruhigen Sie sich, okay?« »Tut mir Leid. Gehen wir rein?«
Der Fahrer streckte die Hand aus. »Hey, ich hab meinen Job gemacht.«
»Irrtum.« Decker packte ihn am Kragen. »Sie kommen mit rein. Ich hab gern jemand, der mich vorstellt.«
Dann hörte er das Klicken. Er musste es geahnt haben, denn a utomatisch griff er nach dem richtigen Handgelenk. Mit einer scharfen Drehung riss Decker ihm die Pistole weg, und der Griff rutschte aus der Hand des Fahrers in die seine. Er stieß ihn gegen die Wand und presste die Mündung des kurzen Smith & Wesson gegen seinen Kehlkopf.
Decker grinste. »Das war aber nicht gerade höflich.«
»Scheiße, was wollen Sie von mir?«
»Hab ich schon gesagt. vorgestellt werden.«
Keiner redete, aber ihr Atem war deutlich zu hören.
»Was wollten Sie mit der Pistole?«, fragte Decker schließlich.
»Warum haben Sie mich gepackt?«, entgegnete Plunkett.
Langsam senkte Decker die Waffe. »Vielleicht war es nur ein Missverständnis.«
Der Fahrer schwieg. Er leckte sich die Lippen. »Sie sind ein Cop, stimmt's?«
Decker antwortete nicht.
»Ein Freund von Merrin?«
Deckers Herz raste wieder. »Kann man so sagen.«
Erleichterung in Plunketts Augen. »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Dann kriegen Sie da drin nämlich Rabatt.«
Langsam dämmerte es Decker - und plötzlich wurde Merrins häufiger Stellenwechsel in Texas verständlich. Die vielen Bordelle in den kleinen Städten. Er ließ den Fahrer los. »Gut, danke für den Hinweis. Kommen Sie mit zur Tür, dann kriegen Sie Ihr Geld.«
Sie starrten einander an, dann führte ihn Plunkett zum Vordereingang.
»Machen Sie die Tür auf«, befahl Decker.
Plunkett gehorchte. Decker spähte hinein. Kein Begrüßungskomitee. Ein spärlich beleuchteter Eingangsbereich mit Holztäfelung, einem Sofa und ein paar Ohrensesseln. Hinter d em Sofa stand ein Getränkewagen mit Tassen und Gläsern, einer Kaffeekanne, einem Heißwasserkessel und einem halben Dutzend Flaschen aus geschliffenem Glas mit bernsteinfarbenem Inhalt. Decker dachte daran, nach einer Lizenz für den Alkoholausschank zu fragen, aber im Moment war Schnelligkeit ebenso angesagt wie Geistesgegenwart.
Ihm gegenüber stand ein walnussfarbener Schreibtisch, hinter dem eine junge blonde Frau saß. Dunkelblaue Augen
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