Die Schwingen des Todes
folgen. Er ging zum Fahrstuhl und drückte den Knopf nach oben. Decker erinnerte sich, dass sein Büro im zweiten Stock lag.
Merrin war unauffällig gekleidet - blauer Anzug, weißes Hemd, blaubraun gestreifte Krawatte. Sein platingraues Haar war von der Stirn zurückgekämmt, das rötliche Gesicht frisch rasiert. Unter Merrins Bauch bemerkte Decker ein Hüftholster mit einer Pistole.
Schweigend gingen sie den Flur entlang. Merrin winkte seinen Streifen- und Kriminalbeamten im Vorübergehen zu. Seine Sekretärin telefonierte, und er nickte ihr zu, während er Decker in sein Büro führte und die Tür hinter sich schloss. Wegen der großen Panoramafenster war der Raum kühl, an manchen Ecken sogar zugig. Nur eine Hälfte hatte Doppelverglasung. In der kühlen Luft hing aber der Geruch von frischem Kaffee, der Decker den Mund wässrig machte. Um s ich abzulenken, schaute er nach draußen, wo der Regen auf die harte braune Erde prasselte. Die Oberfläche des Sees sah aus wie zerfurchtes Silber. Vom Eckbüro aus hatte Merrin einen guten Blick über den Park. Das war nicht nur hübsch, sondern erlaubte ihm auch, das ganze Gebiet im Auge zu behalten.
»Kaffee?«, fragte Merrin. »Gerne.«
»Schwarz, Milch und Zucker?« »Schwarz.«
Er drückte auf die Gegensprechanlage und bestellte zweimal schwarzen Kaffee. Sofort erschien seine Sekretärin, ging zur blubbernden Kaffeemaschine und goss das braune Getränk zuerst in den Keramikbecher des Chefs und dann in einen Becher aus Plastik. Warum der Chef sich nicht selbst den Kaffee einschenken konnte, blieb ein Rätsel.
»Setzen Sie sich«, forderte Merrin ihn auf.
»Danke, Sir.« Er wartete, bis Merrin saß. »Ich bin froh, dass Sie Zeit für mich haben.«
»Bilde ich mir das nur ein, oder hat sich Ihr Verhalten geändert, Lieutenant?«
»Ich glaube... da haben Sie Recht.«
»Ein guter Anfang. Eine Entschuldigung wär ein noch besserer.«
»Ich war verlegen. Ich war ein Idiot. Genügt das als Entschuldigung? «
Merrin lächelte, und die Fältchen um seine wässrigen blauen Augen traten hervor. Seine Zähne waren bananengelb und schief. »Angenommen.« Er trank einen Schluck Kaffee. »Was kann ich für Sie tun, Decker? Sie würden nicht freiwillig herkommen und vor mir auf dem Bauch herumkriechen, wenn Sie nicht irgendetwas von mir wollten.«
Decker hob eine Augenbraue.
»Tja, ich bin nicht so dämlich, wie ich aussehe.«
»Ich komme aus Gainesville, Chief Merrin. Wir sind gar nicht so verschieden. Ich benutze ihn auch dauernd.«
»Was meinen Sie?«
»Den Südstaatenakzent«, erwiderte Decker. »Immer wenn ich mit einem Klugscheißer zusammen bin, wird der Akzent stärker. Die meinen dann, man glaubt ihnen jeden Mist.«
»Dann hätten Sie's besser wissen sollen. Was wollen Sie?«
»Ein Mädchen ist brutal ermordet worden.«
»Sehr brutal, stimmt, aber in New Jersey.«
»Ich glaube, der Grund für ihren Tod ist hier zu suchen.«
»Und?«
»Ihr Tod war ein Nebenprodukt des Mordes an ihrem Onkel. Und ich kann die Familie nicht ausschließen - noch nicht.«
»Sie wollen, dass ich in der Familie ermittle. Auf welcher Grundlage?«
»Sir, Sie brauchen gar nichts zu tun. Sie müssen hier auf eine ganze Stadt achten, aber ich hab noch ein paar Tage frei. Wenn es möglich ist, hätte ich gern die Namen der Kids aus dem Norden, mit denen Shayndie Lieber zusammen war. Vielleicht hat sie jemandem außerhalb ihrer Gemeinde was erzählt.«
»Das bezweifle ich.«
»Wahrscheinlich haben Sie Recht, aber ich möchte es trotzdem versuchen.«
»Leider kann ich Ihnen die Namen nicht nennen. Die sind minderjährig. Der Tod von diesem Mädchen geht mir auch nah, aber ich bin ganz sicher, er hatte nichts mit Quinton oder seinen Bewohnern zu tun. Tut mir Leid - nur wegen einer vagen Vermutung kann ich nicht meine Stadt umkrempeln lassen.«
»Wie wäre folgender Vorschlag: Ich bin durch schlaue Tricks selbst an ein paar Namen gekommen. Macht es Ihnen was aus , wenn ich mit denen mal rede?«
Merrin starrte Decker mit zusammengekniffenen Augen über den Rand seines Bechers an. »Welche Namen?«
»Bloß ein paar Kids aus Quinton, die in Miami wegen Besitz von Ecstasy geschnappt wurden. Bitte korrigieren Sie mich, aber ein paar von denen müssten inzwischen achtzehn sein.« Decker blickte Merrin direkt in die Augen und nippte an seinem Kaffee. »Es ist natürlich Ihre Entscheidung, Sir.«
»Ich sollte wohl besser nicht fragen, wie Sie an diese Information gekommen sind.«
»Wir
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