Die Schwingen des Todes
fahre, bekommen Sie sie wieder zurück.«
Novack fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. »Schätze, ich kann Ihnen vertrauen. Okay, nehmen Sie sie mit.«
»Danke, Novack.« Decker steckte die Bilder ein.
Statt sich dem altersschwachen Aufzug ein zweites Mal anzuvertrauen, zogen die Männer es vor, die zehn Stockwerke zu Fuß hinunterzugehen. Das Treppenhaus war düster - in jeder Etage baumelte nur eine nackte Glühbirne von der Decke - und dreckig und stank zum Himmel. Decker war froh, dass er noch die Handschuhe trug. Als sie schließlich auf den Bürgersteig traten, erfasste sie ein heftiger Windstoß. Decker streifte die Latexhandschuhe ab. »Wissen Sie was? Ich kann mir auch ein Taxi nehmen, um zu meinem Bruder zu kommen.«
»Ich könnte Sie dort absetzen.«
»Ach was, das liegt doch gar nicht auf Ihrem Weg.«
»Kein Problem.«
»Vielen Dank, Detective, aber ich komme schon klar.« Decker schwieg einen Moment. »Sie werden sich jetzt also diese Ortsgruppen vorknöpfen.«
»Ja, Lieutenant, genau das hatte ich vor.« Novack klang verärgert.
»Ich bin eine echte Nervensäge«, sagte Decker. »Und dazu auch noch eine ziemlich alte - was bedeutet, dass ich mich nicht nur in eine Sache verbeiße, sondern auch ständig die gleichen Fragen stelle, weil ich nämlich vergesslich bin. Seien Sie froh, dass Sie nicht mit mir verheiratet sind.«
Novack lächelte. »Ich kümmere mich um die Ortsgruppen.«
»Und was ist mit den Dealern? Woher bezog ein streng religiöser Mann wie Ephraim sein Koks?«
»Wahrscheinlich von den gleichen Typen, bei denen auch die Normalsterblichen kaufen. Hier laufen viel zu viele Dealer rum, als dass ich jeden überprüfen könnte.«
»Gibt es irgendwelche Dealer, die sich auf die Lieferung an die orthodoxe Bevölkerung spezialisiert haben?«
Novack dachte einen Moment nach. »Okay, Decker - weil Sie es sind: Ich werde das beim Rauschgiftdezernat nachprüfen. Ich kümmere mich um den New Yorker Kram, und Sie helfen mir dafür mit der Familie und dem ganzen religiösen Zeug.«
»Ich tu, was ich kann«, erwiderte Decker. »Aber eines muss ich Ihnen gleich sagen: So sehr religiös bin ich nun auch wieder nicht. Außerdem sind die Chassidim in Quinton mir gegenüber wahrscheinlich voreingenommen, weil ich nicht von Anfang an dieser Religion angehörte.«
»Aha!« Novacks Augen verengten sich. »Und was hat diesen Sinneswandel bewirkt?«
»Meine Frau.«
»Und, hat es sich gelohnt?«, fragte Novack lächelnd. »Absolut.«
Novack lächelte. »Da fällt mir was Unanständiges ein.«
»Nur zu, ich bin nicht empfindlich«, sagte Decker.
»Sie haben auf Schweinefleisch verzichtet, um an einen saftigen Schinken zu kommen.«
»Ja, das ist wirklich unanständig«, entgegnete Decker. »Können Sie mich Motzei Schabbat - Samstagabend - auf meinem Mobiltelefon anrufen?«
»Mach ich.« Novack schüttelte ihm die Hand. »Schabbat Schalom.«
»Schabbat Schalom«, erwiderte Decker. Aber nur in New York.
7
Der Weg zurück nach Quinton war die reinste Tortur. Die Blechlawine, die sich im Schneckentempo aus der Stadt wälzte, bestand aus unzähligen roten Rücklichtern, umhüllt von Dreck und Staub, den der Wind durch die Straßen wehte. Jonathan saß regungslos hinter dem Lenkrad, die Augen starr geradeaus gerichtet - ein zur Untätigkeit verdammter Fahrroboter. Decker versuchte gegen die Müdigkeit anzukämpfen, spürte aber, wie ihm die Augen zufielen. Als er sie wieder öffnete, verließ der Van gerade den Highway. Deckers Mund war staubtrocken und sein Magen schon jenseits jeden Hungergefühls. Er fühlte sich ausgepumpt und erschöpft.
Jonathan reichte ihm eine Flasche Wasser, die Decker fast in einem Zug leerte.
»Danke.«
»Ich hab hinten noch etwas Obst. Äpfel, Birnen und Apfelsinen.«
Decker griff auf die Rückbank, nahm einen der Äpfel und verschlang ihn gierig. Als Nächstes knöpfte er sich eine Birne vor.
»Ich hätte dir ein Sandwich mitbringen sollen«, sagte Jonathan. »Tut mir Leid.«
»Kein Problem. Das hier ist wunderbar. So hab ich noch Hunger für das Schabbatessen heute Abend. Ich bin sicher, bei Lazarus' wird es jede Menge zu essen geben.«
»Bestimmt.«
Sie fuhren am Liberty Field vorbei.
Decker schälte sich eine Apfelsine. »Kommst du auch nach Brooklyn?«
»Zum Schabbes? Ja, Mrs. Lazarus hat meine Eltern e ingeladen. Und ich habe Raisie gesagt, dass wir uns um dich kümmern müssen.«
»Ist schon okay, Jon. Ich bin daran gewöhnt...«
»Also gut, das
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