Die Schwingen des Todes
es sich um Ecstasy.«
»Ja, genau.«
»Also, wenn man Schnitman Glauben schenken darf, dann kann sie nicht von Ephraim stammen.«
»Meinen Sie ernsthaft, dass eine Koksnase sich von einem Kick abhalten ließe, nur weil das Rauschmittel nicht von einem Rabbiner abgesegnet ist?«
»So merkwürdig das auch klingen mag, Micky, aber das kann ich tatsächlich nachvollziehen.«
»Na ja, Sie sind wirklich näher dran als ich.«
Ein paar Minuten gingen sie schweigend nebeneinander her. Dann sagte Decker: »Wo würde sich ein Mädchen wie Shayndie in dieser Stadt verstecken?«
»Machen Sie Witze?«, fragte Novack. »Ich würde nicht mal im Traum daran denken, auch nur zu raten. Sehen Sie sich doch um. Eine Million Schlupflöcher allein in der City, durch die Jugendliche wie Shaynda verschwinden können.« Er ging ein paar Meter weiter und sagte dann: »Ich werd mich mal bei der Sitte umhören. Und beim Jugenddezernat. Aber erwarten Sie nicht zu viel.«
»Es ist wahrscheinlich noch zu früh, um sie auf dem Straßenstrich zu suchen«, sagte Decker.
»Stimmt, ein Zuhälter würde sie jetzt noch nicht losschicken.« Novack zuckte die Schultern. »Falls sie nicht zu Hause auftaucht und auch nicht unter irgendeinem Stein, dann finden wir sie ja vielleicht irgendwann auf der Straße. Das Einzige, was wir tun können, ist abwarten. So, mir reicht's für heute. Wo müssen Sie jetzt hin?«
»Zurück nach Brooklyn. Und Sie?«
»Queens, aber auf dem Revier wartet noch jemand auf mich.« Die beiden Männer blieben stehen. »Wir haben bei den Jugendlichen kaum eine Chance, Peter. Die Lokale wechseln ständig. Wenn wir endlich herausgefunden haben, wo die Kids stecken könnten, haben die schweren Jungs schon zugeschlagen und sie weggeschafft.«
»Falls Sie einen Informanten haben, könnte man den vielleicht befragen.«
»Niemand wird zugeben, dass er eine Fünfzehnjährige festhält. Darauf steht eine verdammt lange Haftstrafe. Die Jugendlichen brauchen jemanden mit Einfluss, jemanden, der sie vor den Cops verstecken und vor den Freiern beschützen kann. Diesen Stress tut sich kaum ein Zuhälter an, wenn gleichzeitig genügend Achtzehnjährige herumlaufen, die den Job freiwillig machen. Außerdem kommt noch hinzu, dass sich das Mädchen vielleicht vor einem Mörder versteckt. wer will sich schon so einen Ärger aufhalsen?«
Decker nickte.
»In L.A. muss das doch ähnlich laufen.«
»Ja, obwohl ich nicht bei der Sitte bin. Auch noch nie war, dafür aber sechs Jahre beim Jugenddezernat. Viele traurige Fälle.«
»Dann wissen Sie wahrscheinlich mehr darüber als ich. Wo habt ihr die Kids denn im Allgemeinen gefunden?«
»Normalerweise werden sie von Streifenbeamten aufgegriffen. Viele der Kinder waren total abgemagert und krank. Manchmal kamen sie von sich aus aufs Revier und baten um Hilfe, oder sie wollten, dass wir als Vermittler zwischen ihnen und ihren Eltern auftraten. Oder wir mussten helfen, sie v on einem misshandelnden Freund oder Stiefvater wegzubekommen.«
»Ja, es ist überall das Gleiche.«
»Ich kenne in L.A. den einen oder anderen Unterschlupf und, wenn ich nicht selbst weiterkomme, Leute, mit denen ich reden kann. Hier in Manhattan tappe ich völlig im Dunkeln.«
Inzwischen war es kurz vor elf, und es wurde immer kälter. Dennoch waren die Bürgersteige voll von zügig vorwärts strebenden Menschenmassen, die beim Atmen Dampfwolken ausstießen und dabei fast so viel Nebel produzierten wie der Fluss. Etwa die Hälfte der Geschäfte war noch geöffnet. Und auf den Straßen herrschte reger Verkehr.
»Ich weiß nicht viel über die hiesige Zuhälterszene, aber ich kenne jemanden, der Bescheid weiß. Wenn Sie glauben, dass Shayndie diesen Weg eingeschlagen hat, dann könnte ich ihn mal anrufen«, sagte Novack.
»Ich weiß nicht, welchen Weg sie eingeschlagen hat«, sagte Decker. »Ich greife einfach nach jedem Strohhalm, weil mir die Zeit davonläuft.«
»Wann reisen Sie denn ab?«
»Montag... oder vielleicht auch erst Dienstag.« Rina würde sich über ihn lustig machen. »Aber nur, wenn wir was rausfinden.«
»Wenn wir was rausfinden?«
Decker lächelte. »Nur, wenn ich das Gefühl habe, dass ich Ihnen vielleicht helfen könnte, Detective Novack.«
»Ah, schon viel besser.« Novack lächelte. »Nun, da Sie unter Zeitdruck stehen, werde ich mal sehen, ob wir uns morgen früh mit ihm treffen können.«
»Das wäre sehr gut. Denn sonst.« Decker streckte die Hände hoch. »Es könnte sein, dass sie die
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