Die Schwingen des Todes
Stadt verlassen hat. oder in Quinton ist. Die Beamten dort versicherten, dass sie noch mal n ach ihr suchen wollen, aber der Polizeichef von Quinton klang nicht besonders zuversichtlich. Im Grunde war er alles andere als hilfsbereit.«
»Mit wem haben Sie gesprochen?«
»Virgil Merrin.«
Novack zuckte die Schultern. »Kenn ich nicht. Wir sind hier ein eigener Distrikt.«
»So langsam komme ich auch dahinter. Meinen Sie, wir können Ihren Informanten morgen ganz früh treffen?« »Ganz früh? Wie früh ist das?« »Acht, neun Uhr.«
»Da bin ich mir nicht sicher. Der Typ ist Ire. Und Samstagabend ist Pubzeit.«
»Sagen Sie ihm einfach, wenn er sich um acht mit mir trifft, dann kriegt er von mir eine Kiste seines Lieblingsbiers.«
Novack nickte. »Das ist eine gute Idee, Lieutenant Decker.«
10
Ephraim Lieber hatte sein Leben nur ein paar Straßenzüge vom 28. Revier entfernt ausgehaucht, in einem heruntergekommenen Mietshaus westlich von Harlem. Es war ein Viertel voller Hochbahngleise und Maschendrahtzäune, die von Unkraut überwucherte Grundstücke umgaben - eine Gegend mit Autowerkstätten, Waschanlagen und jeder Menge einstöckiger Fastfoodläden, die genauso gut in Deckers gewohntem Jagdrevier in L.A. hätten stehen können. Feuerleitern umgaben die schmutzigen Ziegelbauten wie ein einziges riesiges Baugerüst. Und dennoch konnte Decker erkennen, wie schön es hier einmal gewesen sein musste. Überall sah er alte und prächtige - wenn auch von Graffiti übersäte - Sandsteinbauten mit wohlproportionierten Grundrissen. Und es gab den Riverside Park, einen Grünstreifen von Bäumen, Buschwerk und kleinen Gärten, der sich am Hudson River entlangzog, eine grüne Oase voller Parkbänke und Joggingwege. Der Park begann auf Höhe der 72. Straße, erstreckte sich nach Norden bis über die 120. Straße hinaus und endete nur wenige Blocks vor dem 28. Revier. In den Vierzigerund Fünfzigerjahren auf ehemaligen Bahngleisen errichtet, diente der Riverside Park heute als botanische Erinnerung daran, was es hier früher für Pflanzen gegeben hatte, bevor sich Manhattan in eine Insel aus Asphalt und Wolkenkratzern verwandelte.
Das Polizeirevier war ein zweistöckiger Betonbau, dessen Oberfläche man offensichtlich mit der Harke behandelt hatte, als der Zement gerade trocknete. Man betrat das Gebäude durch eine Doppeltür aus Stahl, die nicht nur massiv, sondern kugelsicher aussah. Decker ging drei Stufen nach unten und stand vor einem leuchtend blauen, hufeisenförmigen Tisch, hinter der eine Schwarze in Uniform saß. Rechts befand sich e ine Vitrine, in der die Sportpokale des Reviers ausgestellt waren; nach links ging es zu einer Reihe von Büros, vor denen fest verschraubte, limonengrüne Plastikstühle standen. Einige davon waren belegt von einem schlafenden, in sich zusammengesackten Obdachlosen.
Als Decker sich dem Empfang näherte, kam Novack mit großen Sätzen die Treppe herunter.
»Hallo. Auf die Minute pünktlich. Hier lang.«
Decker folgte Novack die Treppen hinauf.
»Wie geht's?«, fragte Micky.
»Gut, danke.«
»Prima. Ich hab ihn dazu gebracht herzukommen, aber es war nicht leicht.«
»Ich schulde Ihnen was.«
»Stimmt.« Novack führte ihn an einem winzigen Raum vorbei, der als Büro der Sekretärin des Bereitschaftsraumes diente. »Willkommen im Achtundzwanzigsten. Es ist nicht gerade ein architektonisches Wunderwerk, aber dafür haben wir eine sehr schöne Aussicht auf die Tankstelle gegenüber.«
Bis auf einen weiteren Mann war das Revier leer - einer der großen Vorteile des Sonntagmorgendienstes. Der Bereich der Detectives war ein Labyrinth aus hüfthohen Bürozellen, voll gestopft mit den üblichen Metallschreibtischen, Bürostühlen und Computern. Die Wände bestanden aus weiß getünchten Betonziegeln; von der mit Wasserflecken übersäten Decke warfen Neonröhren ihr fahles Licht in den Raum, und der ehemals weiße Steinfliesenboden hatte sich in eine abgetretene, schmutzig graue Oberfläche verwandelt. Einige Beamte hatten schüchterne Versuche unternommen, eine heimelige Atmosphäre zu verbreiten - auf ein paar Tischen sah man welkende Topfpflanzen, von Kinderhand getöpferte Tassen oder Briefbeschwerer und gelegentlich einen Bilderrahmen mit einem Foto. Doch der größte Teil des Raums gehörte ganz der Arbeit.
Papierstapel türmten sich auf jeder ebenen Oberfläche, und sämtliche Pinwände waren von Notizzetteln überwuchert. Akten und dicke Bündel von Formularen und
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