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Die Schwingen des Todes

Die Schwingen des Todes

Titel: Die Schwingen des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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in einem helleren Grauton als am Vormittag, doch nebelgraue Wolken dämpften das Licht der Sonne. Decker wippte auf seinen Zehen, um seine Füße warm zu halten. Seine Schuhsohlen waren abgetreten, und er trug nur dünne Baumwollsocken. Er schob die Hände tiefer in die Manteltaschen und sah sich um.
    Etwas weiter entfernt lag ein Spielplatz, auf dem Kinder in dicken Pullovern und Jacken auf Klettergerüsten herumturnten oder Fangen spielten. Kindermädchen und Hausfrauen schoben Kinderwagen über die Pfade, die sich durch die Anlagen schlängelten. Schüler schlenderten durch den Park, auf dem Weg nach Hause. Das Baseballspielfeld war verlassen, aber auf den Basketballplätzen lieferten sich mehrere Jugendliche ein spannendes Match.
    Die reinste Idylle, aber Decker wusste nur zu gut, was das für Teenager bedeutete: Für sie waren Begriffe wie Frieden und Ruhe gleichbedeutend mit sterbenslangweilig und öde. Jugendliche brauchten Action, Spannung und Abenteuer. Konnte die Umgebung, in der sie aufwuchsen, ihnen das nicht bieten, dann gingen sie eben woandershin. Selbst ein so religiös erzogenes Mädchen wie Shaynda stahl sich nachts aus dem Haus, um an »verbotenen« Partys teilzunehmen.
    Nicht dass das jetzt noch eine Rolle spielte. Die schiefe Bahn, auf die Shaynda geraten war - von der in sich geschlossenen Religionsgemeinschaft in Quinton direkt in die Fänge von Donatti -, musste für das Mädchen ein Höllentrip gewesen sein.
    Deckers Puls ging sofort schneller beim Gedanken an die nächtliche Begegnung mit diesem Hitzkopf. Aber selbst eine Waffe an der Schläfe war leichter zu ertragen als Jacob mit schlechter Laune - seinem knapp achtzehnjährigen Stiefsohn hatte er ein ausgezeichnetes Training in Selbstbeherrschung zu verdanken. Decker wollte nur noch eins: das Mädchen zurückbringen und dann so schnell wie möglich aus der Stadt verschwinden. Was als spannendes Abenteuer begonnen hatte, entwickelte sich immer mehr zu einem Kampf auf Leben und Tod. Heute Abend würde zwischen ihm und diesem Psychopathen Donatti Runde drei stattfinden. und er war mindestens noch ein oder zwei Runden davon entfernt, das Mädchen in Sicherheit zu bringen.
    Was würde er Donatti geben müssen, um Shaynda freizubekommen?
    Etwa fünfzehn Meter links von ihm standen drei Lateinamerikaner: zwei traurig aussehende, dunkeläugige Frauen mit stark geschminkten Gesichtern und toupierten Haaren, die beide einen dunklen Hosenanzug unter dem Mantel trugen, sowie ein schnauzbärtiger Mann um die fünfzig in einem altmodischen schwarzen Anzug mit weißem Hemd und schmaler schwarzer Krawatte und mit brillantineglänzenden Haaren. Die drei waren eindeutig zu Ephraims Beerdigung gekommen - aber wer waren sie?
    Decker ging zu ihnen, um es herauszufinden. Als er sich dem Trio näherte, verstummte das auf Spanisch geführte, halblaute Gespräch allmählich, bis es ganz erstarb. Einen Moment lang überlegte er, sie in ihrer Muttersprache anzureden, verwarf dann aber den Gedanken. Er wollte nicht als der gönnerhafte, besserwisserische Angloamerikaner erscheinen.
    »Ich komme von außerhalb«, begann er. »Sind Sie Freunde von Mr. Lieber?«
    »Ich arbeiten für ihn«, erwiderte der Mann mit einem starken Akzent. Er sah untersetzt aus, und sein schwarzes Haar war von zahlreichen grauen Strähnen durchzogen.
    »Ah«, sagte Decker. »Sie arbeiten für Mr. Lieber. Für den Senior? Oder den Sohn?« Ein unbestimmtes Achselzucken. »Für die Familie.«
    »Sind Sie alle in den Elektronikgeschäften tätig?«, fragte Decker.
    »Warum Sie fragen so viele Fragen?«, wollte eine der Frauen jetzt wissen. Sie war mittleren Alters, hatte breite Hüften, einen ausladenden Hintern und einen üppigen Busen - und das alles bei einer Körpergröße von knapp ein Meter fünfzig, die hochhackigen Schuhe mitgerechnet.
    »Ach, ich versuche nur Konversation zu machen.« Decker lächelte. »Ich bin nicht von hier.« »Und was Sie machen dann hier?«, fragte die Miniaturfrau.
    »Ich bin ein Verwandter von einem Verwandten«, erklärte Decker. »Mi hermano es el esposo de la hija de Sehor Lieber.«
    Die drei sahen ihn misstrauisch an. »Que hija?«, fragte der Mann.
    »Raisie«, erwiderte Decker. »Jonathan. der Rabbi. Das ist mein Bruder. Mein Halbbruder, um genau zu sein. Eine lange Geschichte.«
    Schweigen.
    »Und warum Sie sind hier draußen?«, fragte die kleine Frau. »Warum Sie sind nicht bei Ihre Bruder?«
    »Gute Frage.« Decker schien einen Moment darüber

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