Die Séance
hatte und er spürte, dass die Trauer sie mit ihm verband – normalerweise war er selten so euphorisch.
Normalerweise ging er jeder Frau aus dem Weg, die man vielleicht als potenzielle Freundin einstufen konnte. Er mochte kein Mitleid, und er redete nicht gern über sich. Margaritte war jetzt seit vier Jahren tot. Er selbst fühlte sich innerlich nicht mehr ganz so tot, aber er war sich immer noch nicht sicher, ob er Menschen überhaupt wieder um sich haben wollte, und noch weniger, ob er es zulassen wollte, dass ihm jemand wirklich nahekam. Am besten hielt er sich fern von allen Situationen, aus denen eine echte Beziehung entstehen konnte. Die Bars abklappern und gelegentliche One-Night-Stands zulassen, das war jetzt seine bevorzugte Form von sozialen Kontakten.
Aber Ana hatte ihn regelrecht angefleht. Und wenigstens für eine Weile wollte er nicht über den Interstate-Killer nachdenken oder darüber, ob der eigentliche Täter tot oder noch am Leben war.
Oder über die Tatsache, dass er große Angst davor hatte, der Albtraum könnte wieder von vorn beginnen.
Immer noch standen überall Umzugskisten herum.
Christina konnte selbst am wenigsten begreifen, wieso sie Anas Drängen nach einer Einweihungsparty nachgegeben hatte, solange sie noch gar nicht richtig eingezogen war, aber in Anas Vorstellung sollte das Glück bringen. Wenigstens hatte sie auf einer “kleinen Runde” bestanden und das auch so gemeint. Nur Ana, vielleicht ihr Cousin Jed, Tony und Ilona von nebenan, und ihre eigenen beiden Cousins, Mike und Dan. An Speisen und Getränken nur das Einfachste: Softdrinks, Bier und Wein aus dem kleinen Supermarkt unten am Highway, das Barbecue geliefert von Shorty’s. Das war kein allzu großer Aufwand, schätzte sie.
Aber trotzdem …
Es war ihr erster Tag. Der erste Tag nach ihrem Auszug in Miami. Umzugskisten standen überall im Weg; sie würde zum ersten Mal hier schlafen, nachdem sie das Haus geerbt und beschlossen hatte, hier leben zu wollen.
Ana kam schon früh vorbei, während Christina noch über der Frage brütete, wo sie das Klavier platzieren sollte. Das Klavier war entscheidend für ihre Arbeit. Es war fast ein körperlicher Teil von ihr.
Im Salon war das Licht am besten, aber eigentlich wollte sie hier drin nicht Regale voller Papierkram und Ständer voller CDs stehen haben, geschweige denn das ganze Büromaterial. Trotzdem, das Piano wirkte großartig vor dem Fenster zur Bucht.
Da bleibt es erst mal, beschloss sie. Irgendwann würde sie schon ein paar gute Büromöbel aus Eiche oder Ahorn auftreiben – sie sich überhaupt leisten können –, die zu der Einrichtung passten. Und falls nicht, die Bibliothek war nur den Gang runter, ein perfekter Platz zum Aufbewahren von Büromaterial. Sie bräuchte bloß rüberzugehen, wenn sie etwas brauchte. Keine große Sache.
Wieso habe ich so viele Kisten?, frage sie sich angewidert.
Weil ich nicht in der Lage bin, mich von irgendetwas zu trennen.
Sie fühlte sich als Hüter des Familienerbes oder wie man das auch immer nennen mag. Es war kaum zu glauben, dass keiner mehr übrig geblieben war außer Mike und Dan und ihr selbst. Und weder Mike noch Dan verspürten den Drang, die Cocktail-Serviette zu bewahren, die ihre Mom von der ersten Verabredung mit Dad mit nach Hause gebracht hatte. Oder die vielen hundert Fotos aus Irland, oder auch nur die Familienfotos von ihnen allen, aus der Zeit, als sie noch Kinder gewesen waren.
Der Klang der alten Türklingel unterbrach ihre Gedanken. Sie öffnete und ließ Ana herein. Ana trug eine große Schachtel mit einem in Plastik gewickelten Pappbecher obenauf. Christina streckte schnell die Arme aus, um ihr zu helfen.
“Nein, nein … ich brauche bloß ein bisschen Platz, um das hier abzustellen”, sagte Ana fröhlich.
Ein bisschen Platz, das klang ganz einfach.
Ein bisschen Platz, das verlangte gründliches Nachdenken.
“Die Durchreiche zwischen Küche und Esszimmer”, sagte Christina schnell.
Ana bahnte sich einen Weg durch den Flur und den Salon. Bis auf die kreuz und quer gestapelten Kisten war das Haus sauber und ordentlich. Es war ein großes, luftiges Gebäude, in Christinas Vorstellung das perfekte Heim für eine Familie. Der Flur diente auch als Luftzufuhr und Durchzug, angelegt nach dem traditionellen “Schrotflinten-Prinzip” des Südens, die dem Haus die beste Frischluft verschaffte, aus welcher Ecke der Wind auch wehte. Die Treppe befand sich auf der linken Seite des Flurs und führte
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