Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Iuga
Vom Netzwerk:
miteinander verbanden. Ich war, glaube ich, ein großer Stein an ihrem Hals, der sie auf Grund zog. Tagtäglich sah ich sie stundenlang in verräterischer Vertrautheit mit den ehemaligen Kommilitonen flüstern, die jetzt im Verlag arbeiteten und wichtige Funktionen bekleideten. Mir sagten sie nichts, eigentlich hatten sie mir noch nie etwas gesagt. Du weißt gar nicht, wie sehr ich leide, wenn ich sehe, wie es diese Jungs dank ihres perspektivlosen Lebens zu nichts gebracht haben – sie weinte vor Mitleid. Wiesoll es jemand zu nichts gebracht haben, der überhaupt nichts hat, womit er es zu etwas bringen könnte, und der nicht einmal die Fähigkeit besitzt, der Gesellschaft irgendetwas zu versprechen, gab ich ihr zurück, ich dachte an mich, es war eine Art Rache, es tat mir gut.
    Anna und Terry waren manchmal in den Botanischen Garten gegangen. Sie hatten stundenlang über Literatur, über Liebe gesprochen, wir trafen uns bei Faulkner, bei Virginia Woolf, wir zogen über unsere Nebenbuhlerinnen her, vertrauten uns die intimsten Geheimnisse an. Vielleicht war auch das ein Grund, warum sie sich von mir befreite. Sie ertrug die erdrückende Abhängigkeit nicht mehr. Was sie mit mir besprach, sagte sie, glaube ich, nie einem anderen. Nach so langen Jahren wird mir klar, dass Terry eine meiner großen Lieben war. Auch heute noch ist sie eine meiner Obsessionen. Dann kam eine Zeit, in der wir uns aus dem Weg gingen, wir senkten voreinander die Blicke, waren niedergedrückt von einer Schuld, die nur in uns selbst existierte, objektiv gesehen konnten wir uns nichts vorwerfen. Ich denke oft, dass wir uns vielleicht in einem anderen Leben getroffen und uns damals etwas Böses angetan haben. Terry veröffentlichte ihren ersten Roman, als wir bei Kriterion arbeiteten. Ein Roman über das Schicksal einer Familie von Intellektuellen aus Gătaia, die scheiterten, weil sie sich nicht an ein Leben ohne Traditionen gewöhnen konnten. Mit dem Erscheinen des Romans begann der öffentliche Aufstieg der Tereza Kövary. Es wurde viel über dieses Debüt geschrieben, und sie bekam einen Literaturpreis. Ich weiß noch, wie sehr ich mich über ihren Erfolg freute, auch wenn ich selbst gerade meine sieben mageren Jahredurchlebte; ich sagte dir ja schon, man hatte mir Publikationsverbot erteilt. Gemeinsam mit anderen Autoren stand auch ich auf der berühmten Liste der nicht Erwünschten. Es ist mir schrecklich zuwider, dass alles, was ich dir erzähle, den Eindruck hinterlassen könnte, ich wollte als Dissidentin durchgehen. Aber ich erzähle dir mein Leben, und so stehen die Dinge nun einmal. Unsere wechselseitigen Ressentiments sollten erst später in Erscheinung treten. Aber vielleicht klage ich Terry zu Unrecht an, vielleicht sind fünfzig Prozent von dem, was ich ihr vorwerfe, nicht wahr, entspringen meinem verletzten Stolz. Wer weiß, wo das alles einmal anfing. Du wirst lachen, manchmal glaube ich, dass das Misstrauen, das sich zwischen uns aufbaute, von unserer grundverschiedenen Einstellung zur Mode kam. Terrys Bedürfnis, immer mit der Mode zu gehen, erschien mir wie ein Korsett, es schnürte ein und drückte platt, verzerrte die Persönlichkeit, ließ einen nicht frei sein. Ich glaube, gerade weil Terry nicht originell war, fand sie einstimmigen Zuspruch. Sie entsprach immer den Tagesanforderungen, nicht was Schuhe, Kleider, die Frisur betraf, sondern auch mit ihrem Gehirn, das sie nach dem letzten Schrei ausrichtete. Um entsprechend den europäischen Standards schreiben zu können – siehst du, was die Kadersprache mit mir macht, wenn ich nicht aufpasse –, las sie mit dem Füller in der Hand die neuesten Veröffentlichungen der Literaturkritik und -theorie. Ich glaube, sie hätte Weltmeisterin im Surrealismus und Expressionismus sowie im Nouveau Roman werden können, schade, dass es damals den Postmodernismus noch nicht gab, sie hätte sicher mitgemacht. Ich trug Schuhe mit spitzen Schnäbeln, wenn manSchuhe mit quadratischen Spitzen trug, ich trug Maxi, wenn Mini angesagt war, ich war immer unpassend, verstehst du, warum ich so schreibe, wie ich schreibe? Vielleicht war mein Aufstieg deshalb so mühsam. Erst jetzt wird mir klar, dass ein gewöhnlicher Gedanke viel rentabler ist. Die Mehrheit der Menschen liebt Leute, die ihnen ähneln. Aber ich mit meinen absonderlichen Sachen, die aus dem Fundus eines Theaters zu stammen schienen, ich war zwar sicher lächerlich, zog aber die Aufmerksamkeit auf mich, war ein Skandal –

Weitere Kostenlose Bücher