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Die Seele der Elben

Titel: Die Seele der Elben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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den Docht der Talglampe, die gleich daneben stand.
    Im unsteten Licht der Lampe betrachtete er noch einmal seinen Kerker. Der kleine Vorratsraum war ein perfektes Gefängnis, denn außer der Tür gab es keinerlei Öffnungen. Lluis stöberte ein wenig in der Kammer herum, öffnete ein paar Kästen, grub die Finger in die Sandkiste mit den Möhren und anderen Wurzelgemüsen, musterte die Krüge mit Honig, Marmelade und Apfelmost und schnappte sich endlich eine Handvoll schrumpeliger Äpfel. Er vertilgte ein halbes Dutzend und trat währenddessen noch ein wenig auf die Tür ein. Dann zog er einige der alten Kartoffelsäcke aus dem Regal und breitete sie auf dem kalten Boden aus. Er löschte das Licht. Zwar war er sicher, dass er vor Wut, Unruhe und Sorge um Siiran kein Auge würde zutun können, aber kaum hatte er sich auf die muffigen Säcke gelegt, war er auch schon eingeschlafen.
    Er erwachte davon, dass die Tür gegen seinen Rücken stieß. Er sprang auf und wollte sich lautstark über die Behandlung beschweren, als er im matten Schein einer Kerze die schlanke Silhouette seiner Mutter erkannte. Sie legte den Finger auf die Lippen und drückte ihm ein Bündel in die Hand. »Geh«, flüsterte sie. »Geh in die Residenz, Lluis. Das hier ist kein guter Ort mehr für dich.«
    Ãœberrascht nahm er sie in den Arm und sah, dass sie geweint hatte. »Ich kann jetzt nicht fort«, sagte er leise. »Siiran braucht mich.«
    Seine Mutter schüttelte den Kopf. »Lass das Elbenpack sich um sich selbst kümmern«, sagte sie. »Geh!«
    Lluis schrak vor ihrer heftigen Reaktion zurück. Rialinn zog ihn in eine feste Umarmung und küsste ihn auf die Wangen. »Geh, mein Junge«, flüsterte sie. »Geh mit all meinen guten Wünschen und meinem Segen. Die Ewigen mögen dich beschützen.« Sie machte das Zeichen des Guten Sterns über seiner Stirn. Dann wandte sie sich um und lief die Treppe zu ihrer Kammer hinauf.
    Er sah ihr mit versteinerter Miene nach. Dann schüttelte er die Erstarrung ab und durchstöberte das Bündel, das sie ihm gegeben hatte. Kleider fand er darin, eine dünne Decke, den Beutel mit Geld, einen Glühstein und ein kleines Messer. Er kehrte zurück in die Vorratskammer, holte Äpfel, einen kleinen Krug Apfelmost, das in ein Tuch eingeschlagene Stück eines Brotlaibs und stopfte alles in sein Bündel, ehe er durch die Küchentür das Haus verließ.
    Der Küchengarten lag friedlich unter dem langsam verblassenden Sternenhimmel. Im Osten kündete sich der dämmernde Morgen an und die ersten zaghaften Vogelrufe begrüßten den neugeborenen Tag. Die Gartenpforte knarrte leise, als er sie öffnete und hinter sich wieder schloss. Er warf einen Blick zum Haus zurück. Oben, hinter Rialinns Kammerfenster, glaubte er eine helle Gestalt zu sehen. Er hob zögernd die Hand zum Abschiedsgruß, schulterte sein Bündel und machte sich auf den Weg.

    Vor dem Eingang zu Siirans Elternhaus hielt er inne und lauschte. Außer dem lauten Vogelkonzert rundum war es ruhig. Er packte entschlossen sein Messer und trat ein. Während er dem Gang ins dämmrige Innere des Hauses folgte, erwartete er jeden Moment, dass eine rüde Stimme ihn anschrie, Hände ihn packten und hinauswarfen. Aber sein Eindringen blieb unbemerkt und er vernahm keinen Laut außer seinen leisen Schritten auf dem moosbedeckten Boden. Das Haus schien leer und unbewohnt.
    Er erreichte unbehelligt die innerste Kammer und stürzte an Siirans Seite. Die junge Elbin wandte schwach den Kopf, und er erschrak bis ins Mark vor ihrem Anblick.
    Â»Liebster«, sagte sie mit einer Stimme, die kaum lauter war als das leise Wehen des Windes. Er kniete neben ihr nieder und schnitt hastig die Fesseln durch. Sie streckte ihre Arme und stöhnte. »Siiri«, sagte er erschüttert. »Siiri, was ist mit dir?«
    Ihr totenbleiches Gesicht war so eingefallen, dass er die feinen Knochen ihres Schädels unter der Haut sehen konnte, und ihre Augen blickten aus tiefen Höhlen zu ihm auf. Sie hob den Arm und umfasste seinen Nacken mit einer eisigen Hand. Lluis staunte über die Kraft, mit der sie seinen Kopf niederzog. »Liebster«, wiederholte sie. Ihre trockenen, kalten Lippen glitten über seine Wange. Es knisterte wie das Fell einer Katze, als sie seinen Mund streiften. Der Kuss blieb unvollendet, denn Siirans Kopf

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