Die Seele der Elben
argwöhnte, dass sie sich mit einem anderen traf. Dann wuchs die Sorge. Sie hätte ihn niemals ohne Nachricht gelassen, es musste etwas geschehen sein, etwas Ãbles.
Wieder einmal kauerte er im Gebüsch und beobachtete das Haus ihrer Eltern. Er wartete einen ganzen Nachmittag dort und schlieÃlich wurde seine Geduld belohnt. Ein älteres Elbenpaar, Siirans Eltern, verlieà mit Lareen, ihrer Schwester, das Haus und ging den Pfad hinunter.
Lluigolf wartete noch eine Weile, dann huschte er zum Haus und spähte durch die Türöffnung. Er wusste, dass auÃer diesen vier Elben niemand im Haus lebte, also musste Siiran jetzt alleine sein. Wenn sie überhaupt zu Hause war.
Es gab keine andere Möglichkeit, um das festzustellen, er rief leise ihren Namen. Erst zaghaft, dann etwas lauter.
Nichts regte sich. Lluigolf sah sich unbehaglich um, bevor er zögernd eintrat.
Er hatte nie zuvor den Wohnsitz einer Elbenfamilie betreten und war erstaunt über den runden Korridor. Der Gang wand sich spiralförmig bis zum Herzen des Hauses, während Türöffnungen in kleine Räume führten. Er linste in jeden hinein, immer in der Hoffnung, seine Liebste schlafend auf ihrem Bett oder am Fenster sitzend zu sehen.
Doch die spärlich möblierten Zimmer waren allesamt leer. SchlieÃlich erreichte er einen runden, dämmrigen Raum, der ganz wie eine dicht belaubte Lichtung wirkte. Das Sonnenlicht fiel nur schwach durch das Gezweig und die Blätter, und es roch nach grünem Laub und Holz.
Lluigolf sah sich nur flüchtig um, denn auch dieses Zimmer schien leer. Als er sich aber zum Gehen wandte, hörte er an der Südwand etwas rascheln und dann ein leises Stöhnen.
Er eilte dem Geräusch entgegen, und dort lag sie, seine Siiran, auf einem niedrigen Gestell aus geflochtener Weide. Eine weich gewebte Decke verbarg sie dem flüchtigen Blick.
»Siiri«, sagte er erleichtert und hockte sich neben sie. Sie wandte den Kopf, und er erschrak über ihre Blässe und das eingefallene Gesicht. »Siiri, was ist mit dir? Bist du krank?«
Sie sah ihn an, ihre Augen glühten wie im Fieber. Dann schüttelte sie schwach den Kopf. »Mach mich los«, flüsterte sie. »Schnell, ehe sie zurückkommen.«
Er starrte in ihr bleiches Gesicht und schlug die Decke zurück. Siiran war an Händen und FüÃen gefesselt und fest an das Lager gebunden. »Mach mich los«, drängte sie und bog den Leib ungeduldig empor.
»Warum haben sie das getan?«, fragte Lluigolf bestürzt. Er bohrte seine Finger in einen Knoten, der sich dadurch noch fester zusammenzog. Es war, als wären die Riemen mit einem Zauber belegt, je mehr er sich abmühte, desto enger wurde das Geflecht.
Siiran stöhnte auf. »So geht das nicht â nimm dein Messer!«
Er sank auf die Fersen zurück und hob hilflos die Hände. »Ich habe kein Messer.«
Siiran schrie enttäuscht auf. Er legte beruhigend seine Hand an ihre Wange, die sich kalt anfühlte. »Du bist ganz eisig.« Er beugte sich dicht über sie, nahm ihre gebundenen Hände, um sie zu wärmen. Ihr Atem streichelte seine Wange. »Wer hat dir das angetan?«
»Meine Eltern«, flüsterte sie.
Lluis sah sie ungläubig an. Ihre Augen waren geschlossen bis auf einen winzigen Spalt, sie sah schmal und elend aus. Er lieà ihre Hände los, wobei er einen lose sitzenden Silberring von ihrem Finger streifte. Gedankenlos griff er danach und steckte ihn ein, dann nahm er Siirans Gesicht zwischen seine Hände, um sie zu wärmen. Ihr Atem ging hastig, und sie wandte den Kopf, um seine Wange mit dem Mund zu streifen. Auch ihre Lippen waren eisig. Er legte seinen Mund auf ihren, hauchte seinen warmen Atem in sie. Sie erwiderte den Kuss mit heftiger Leidenschaft, und Lluigolf wurden die Knie weich. In seinen Ohren rauschte das Blut, die Zeit versank, sein Bewusstsein erlahmte und selbst sein Herzschlag schien zu verstummen.
Benommen wie aus einem tiefen Schlaf tauchte er auf, als Siiran schlieÃlich ihre Lippen von ihm löste. Ein rosiger Schimmer lag auf ihren Wangen, und sie lächelte ihn an.
»Geh, such ein Messer, Liebster. Befreie mich!«
Er lief hinaus und in den angrenzenden Raum, wo er einige Atemzüge lang mit geschlossenen Augen an die Wand gelehnt stehen blieb. Er war so erschöpft, als hätte er einen ganzen Tag auf dem Feld gearbeitet, am liebsten hätte er sich
Weitere Kostenlose Bücher