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Die Seele der Elben

Titel: Die Seele der Elben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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verschnaufen musste. Zu wenig Bewegung im letzten halben Umlauf, schalt ich mich stumm.
    Ich kletterte schnaufend die letzte Treppe – eigentlich nur eine Art Leiter – empor und klopfte an die Tür am oberen Ende. Es war dunkel im obersten Geschoss, wie immer, und ich konnte kaum meine Hand vor Augen sehen. Eine ganze Weile lang rührte sich nichts, und ich befürchtete schon, den Aufstieg umsonst gemacht zu haben, aber dann hörte ich Schritte. »Ja?«, fragte eine sanfte, tiefe Stimme hinter der Tür.
    Â»Frar Kastarlaijitijankorem«, erwiderte ich. »Ich bin gerade angekommen.«
    Die Tür schwang weit auf. In dem Gemach dahinter war es stockfinster, aber ich konnte die hochgewachsene, weißgekleidete Gestalt erkennen, die mir geöffnet hatte.
    Â»Tijan! Ich habe nicht so früh mit dir gerechnet. Komm herein«, er trat beiseite. »Hast du dir ein Licht mitgebracht?«
    Ich tastete mich zum Tisch vor, der, wie ich mich erinnerte, genau in der Mitte des Zimmers stand. »Ich habe es vergessen«, sagte ich zerknirscht. »Und das Buch, das ich dir versprochen hatte, liegt auch noch unten in meinem Bündel. Vergib mir, aber ich hatte es eilig, zu dir zu kommen, ehe der Meistersänger mich zu sich ruft. Ich wollte erst von dir hören, warum man nach mir geschickt hat.«

    Der Barde lachte leise. Ich hörte, wie er raschelnd herumkramte, dann flammte ein weiches Licht auf und beleuchtete sein Gesicht. »Ich habe keine Kerzen mehr. Reicht dir das als Ersatz?« Er setzte das Elbenfeuer auf den Tisch und schob mir einen bequemen Sessel hin.
    Â»Unsere Freundin hat dich hergebracht?«, fragte er, während er sich selbst niederließ.
    Â»So ist es. Sie hatte ein paar neue Lieder im Gepäck.«
    Er lächelte. »Du kannst sie mir heute Abend vorsingen.« Er beugte sich vor, und das Elbenfeuer tauchte sein vornehmes Gesicht in gelblichen Schein. Seine linke Schulter war mit Spuren von Vogelkot bedeckt. Der Blick seiner hellen Augen ging an meinem Gesicht vorbei, als er fragte: »Was möchtest du wissen, Tijan?«
    Â»Mar Ayomida hat mich losgeschickt, ohne mir allzu viel über meinen Auftrag zu sagen. Ich arbeite, wie du weißt, seit geraumer Zeit an der Geschichte des westlichen Elbenvolkes.«
    Er nickte geduldig, und ich klopfte mir lachend mit dem Finger auf die Lippen. »Verzeih, Maris. Ich habe zu lange mit Frar Govadin zusammengearbeitet, seine umständliche Art färbt ein wenig ab. Mar Ayomida deutete mir an, dass der Bardenstein nach einem Experten für ebendiese Geschichte geschickt habe. Die Wahl fiel auf mich.« Ich sah ihn erwartungsvoll an. Sein Gesicht trug den Ausdruck stiller Nachdenklichkeit.
    Â»Ich bin nicht eingeweiht in das, was der Meistersänger von deinem Orden will«, begann er, und ich atmete enttäuscht aus. In der Vergangenheit war ich des Öfteren mit Maginhard, dem Oberhaupt des Bardensteins, zusammengetroffen und ich konnte nicht behaupten, dass wir einander übermäßig zugetan waren. Der Meistersänger behandelte mich für gewöhnlich wie einen unreifen Knaben und ich zahlte es ihm heim, indem ich das eine oder andere meiner Gespräche mit einem seiner Vorgänger erwähnte, die allesamt längst Geschichte und zu Staub zerfallen waren.
    Maris musste gespürt haben, was in mir vorging, denn er tastete nach meiner Hand. Seine Finger schlossen sich behutsam um mein Handgelenk. »Ich kann mir aber vorstellen, was er von dir möchte«, fuhr er fort, während seine sensiblen Finger meinen Pulsschlag, meine seelische Verfassung, meine momentane Stimmung und wahrscheinlich auch die Gedanken in meinem Kopf erspürten. »Der Markgraf ist auf der Suche nach neuen Exemplaren für seine Sammlung.«
    Ich stöhnte auf, und Maris schmunzelte. »Ich weiß, mein Freund. Aber der Bardenstein ist angewiesen auf das Wohlwollen unseres gnädigen Herrn. Wigher ist nicht der schlechteste Herrscher, den die Mark bisher erdulden musste.«
    Nicht der Schlechteste – aber ganz sicher einer der Exzentrischsten. Ich erinnerte mich an seinen Großvater – der war allerdings ein bösartiger Bursche gewesen. Er hatte die Mark in langwierige Streitigkeiten mit den benachbarten Herren vom Langen Land geführt und war noch nicht einmal davor zurückgeschreckt, den Zwergenkönig gegen sich aufzubringen. Glücklicherweise starb der alte Walram, ehe es zum

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