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Die Seele der Elben

Titel: Die Seele der Elben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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Karren lag, und schüttelte es.
    Â»Was machst du?«, fragte ich verdutzt.
    Ranvidar verdrehte den Kopf, um mich anzusehen. »Frag mich nicht nach meinen Angelegenheiten, ich frage dich ja auch nicht, warum du so dringend zum Bardenstein musst«, versetzte sie scharf. Ich zog lieber den Kopf ein und sah zu, wie sie nacheinander die restlichen Bündel, Ballen und Körbe schüttelte und abklopfte. Endlich beendete sie ihre Untersuchung, schob den Karren mit einem kräftigen Ruck zurück auf den Weg, rief: »Entschuldigung« in Richtung des Gebüschs und erhob sich wieder mit mir in die Lüfte.
    Der Himmel färbte sich graurosa und violett, als wir Lerneburg erreichten. Die roten Ziegeldächer der Stadt strahlten im Licht des Sonnenuntergangs wie Leuchtfeuer. Ranvidar hielt respektvollen Abstand, falls ein nervöser Stadtwächter gerade zum Himmel blicken sollte. Beim Überfliegen großer Ansiedlungen konnte es gelegentlich zu unangenehmen Zwischenfällen mit Pfeilen und Armbrustbolzen kommen.
    Der große Turm des Bardensteins ragte im Zentrum der Stadt auf. Sein Dach zierte die vergoldete Figur eines Sängers mit Harfe im Arm, der versonnen ins Weite blickte.
    Wir landeten im Inneren Hof und sorgten damit für die übliche Aufregung. Ranvidar kümmerte sich nicht darum, dass sich ein Haufen Novizen und Bardenschüler um uns scharten und durcheinanderriefen, sie blinzelte mir zu und flog mit langsamen Flügelschlägen hinauf auf das Küchendach, wo sie sich zum Schlafen niederließ.
    Glücklicherweise – denn womöglich stünde ich heute noch dort mitten im Hof und würde pickelgesichtige Barden in der Ausbildung auf mich hinunterglotzen lassen – hatte jemand den Verwalter benachrichtigt, und der kam jetzt angewatschelt, bahnte sich mit wohlgesetzten Ellbogenstößen und einigen energischen Worten den Weg und scheuchte die gaffenden Jungen zurück ins Gebäude.
    Â»Bruder Schreiber«, rief er, »welche Freude! Wenn ich gewusst hätte, dass du uns die Ehre erweist, hätte ich ein Gastzimmer vorbereiten lassen. Du bleibst doch sicher wieder eine Weile?« Seine kleinen, flinken Augen musterten mich und meinen Reisesack, der nicht größer und nicht kleiner war als sonst auch.
    Â»Danke für den warmen Empfang, Herr Onno.« Ich verneigte mich knapp – die herzlichen Worte täuschten mich nicht über das missmutige Zucken seiner Mundwinkel hinweg. Der Verwalter liebte es ganz und gar nicht, wenn etwas seinen gewohnten Tagesablauf durcheinanderbrachte. Oder besser, den gemütlichen Trott? Er war seit meinem letzten Aufenthalt noch ein wenig rundlicher geworden und füllte seine dunkelbraune Weste inzwischen auf ganz erstaunliche Art und Weise aus.
    Â»Ich weiß noch nicht, wie lange ich bleiben werde«, fuhr ich fort, während er mich zum Gästetrakt führte. »Du bist sicher so freundlich und meldest meine Ankunft dem ehrenwerten Meistersänger?«
    Â»Herr Maginhard ist natürlich sehr beschäftigt«, erwiderte er steif. »Aber für dich hat er sicherlich einen Moment Zeit, Bruder Schreiber.«
    Früher hätte sein gönnerhafter Tonfall mich in Rage versetzt, aber anscheinend hatte die Gemütsruhe Frar Govadins, mit dem ich nun schon seit über drei Umläufen an der Geschichte der Großen Trennung arbeitete, inzwischen einen gewissen Einfluss auf mich ausgeübt. Ich lächelte also nur und dankte ihm.
    Das Zimmer, das er mir im Gästetrakt zuwies, war klein und gemütlich. Ich legte mein Bündel auf das Tischchen am Fenster und hörte, wie der Verwalter einem Novizen befahl, Bettwäsche zu bringen. Dann steckte Onno den Kopf zu mir ins Zimmer und sagte: »Falls du noch etwas essen möchtest, gebe ich der Küche Bescheid.«
    Ich dankte ihm erneut, was ein schmales Lächeln auf sein Gesicht zauberte, und teilte ihm mit, dass ich mich sogleich in die Bibliothek zu begeben gedachte. Dort könne er mich finden, wenn der Meistersänger mich zu sehen wünsche.

    Der viereckige Turm des Hauptgebäudes beherbergte die Bibliothek des Bardensteins. Ihr Umfang und ihre Vielfalt war beeindruckend – wenn auch nicht ganz so beeindruckend wie die der unterirdischen Archive meines Ordens. Ich betrat den Turm im Erdgeschoss und kletterte die unzähligen Treppenstufen bis zum Dach empor, wobei ich auf der Hälfte eine kleine Pause einlegen und

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