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Die Seele der Elben

Titel: Die Seele der Elben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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Ich musste ihm sagen, dass ich nicht viel mehr dazu sagen kann, als dass ich diesen Begriff einmal gelesen habe.«
    Â»Hat er dich deshalb kommen lassen?«
    Â»Er bittet mich um eine kurze Abhandlung über die Zeit der Drachenkriege – wofür du wahrlich der weitaus geeignetere Verfasser wärest.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht versäumt, ihn auf diesen Umstand hinzuweisen, aber er ist über meinen Einwand einfach hinweggegangen.«
    Maris knurrte – eine für ihn äußerst ungewöhnliche Unmutsäußerung. »Wir sprechen seit ungefähr sieben Umläufen nicht mehr miteinander.«
    Ich musste lachen, was mir angesichts seiner angespannten Miene sofort leidtat.
    Â»Er ist nichts weiter als ein aufgeblasener Idiot«, sagte ich. »Warum ärgerst du dich über ihn? Du hast auch Ratbald überstanden.«
    Und Sarolf und den unglaublichen Lambert, woran ich ihn in seiner ohnehin gereizten Stimmung nicht erinnern wollte.
    Maris knurrte wieder. Seine geballten Fäuste zeigten seinen Grimm weitaus stärker als sein unbewegtes Gesicht. »Ich weiß nicht, warum der Rat vom Bardenstein immer wieder die größten Nervensägen zum Meistersänger macht«, sprach ich eilig weiter, »aber vielleicht ist das als Prüfung für alle anderen gedacht. Wer so etwas übersteht, der kann auch draußen in der Welt nicht anders, als Unbilden, Leid, Strapazen und schlechte Küche zu überleben!«
    Sein Gesicht entspannte sich, er lachte und griff zielsicher nach der Karaffe mit Wein.
    Â»Ich schenke uns ein«, sagte ich eilig, als ich seine suchenden Finger nach den Gläsern tasten sah.
    Â»Seelentrinker«, sagte er nach einer Weile. »Wo hast du darüber gelesen?«
    Ich rollte einen Schluck des schweren Weins im Munde herum und strengte mein Gedächtnis an. Das ist der Nachteil, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat – das Erforschen des eigenen Gedächtnisinhaltes gerät gelegentlich zu einer mühsamen Expedition durch unwegsames Gelände. Ich rodete etliche Mannslängen wuchernden Gestrüpps aus zwergischen Genealogie-Listen und schlecht übersetzten Hochland-Versepen und dann hatte ich es. »Die Aufzeichnungen Lindrads«, sagte ich. »Er stand als oberster Archivar im Dienst des Hochkönigs Siamon des Dritten. Irgendwann im vierten Register nach dem letzten Drachenkrieg; wenn ich mich recht erinnere, muss das im Jahr des Wütenden Windes gewesen sein.«
    Maris nickte langsam und betastete nachdenklich den glatten Einband des Buches, das ich ihm mitgebracht hatte. »Das war eine schlimme Zeit«, sagte er. »Die edelsten Krieger meines Volkes waren in den Drachenkriegen gefallen, wir hatten uns in den Wandernden Hain zurückgezogen und leckten unsere Wunden … und dann verschwand ein junges Elbenpaar. Wir waren zunächst unbesorgt; alle dachten, sie seien einfach nur fortgegangen, ohne ihren Familien etwas zu sagen.« Ich schüttelte den Kopf. Völlig undenkbar, dass ein Mitglied meiner Sippe sich einfach so bei Nacht und Nebel davongemacht hätte. Er lächelte schwermütig, weil er meine Missbilligung spürte. »Unsere Familienbande sitzen lockerer als die euren, Tijan.«
    Eine Weile herrschte Schweigen. Ich dachte an meine Schwestern, die so fern von mir lebten, an meine vielen Nichten und Neffen, Onkel, Tanten, Vettern und Basen – dann schüttelte ich mein aufflackerndes Heimweh ab und sah mein Gegenüber an. Maris saß brütend da, die hellen Augen verschattet von altem Kummer oder Zorn.
    Als er wieder zu sprechen anhob, war seine Stimme so leise, dass ich den Atem anhielt, um kein Wort zu verpassen.
    Â»Es blieb nicht bei diesem Paar. Nach und nach wurden immer mehr junge Elben vermisst – und wir begannen uns zu fragen, was da vor sich ging. Dann kehrten die Ersten zurück.«
    Ich schnaufte, und er hielt inne. Dann erhellte ein Lächeln sein Gesicht. »Verzeih mir, lieber Freund. Ich war unhöflich, habe zu mir selbst gesprochen und nicht darüber nachgedacht, dass heute Abend ein anderer meine Dunkelheit teilt.«
    In dieser Nacht unterhielten wir uns nur noch über Dinge, die keinem von uns Schmerz bereiteten. Als der Morgen dämmerte, strich Lochan, die Eule, durch das offene Fenster und landete lautlos auf Maris’ Schulter. Er kraulte ihren Hals und nahm das Buch auf, das griffbereit neben seiner Hand

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