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Die Seele der Elben

Titel: Die Seele der Elben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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– ob sie ihm etwas bedeutet haben mochte.
    Â»Sie hieß Tuula?«
    Sein Gesicht wandte sich mir zu, vom Schein der Glut rötlich beleuchtet. Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht recht deuten, denn für gewöhnlich ließ er kaum mehr als kleine, kaum auffällige Gemütsregungen erkennen. Jetzt aber zeigte sein Mienenspiel einen Wirbelsturm von Emotionen, wie Wolkenschatten, die in einer stürmischen Nacht über das bleiche Antlitz des Mondes jagten. Ich schrak zurück.
    Â»Woher kennst du diesen Namen?« Er flüsterte nur, aber er hätte ebenso gut schreien können.
    Â»Du hast ihn mir genannt.«
    Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich gedacht, dass er mich anstarrte, dass sein Blick versuchte, mich zu durchbohren und in mein Innerstes zu schauen.
    Â»Du weißt, dass ich diesen Namen nicht erwähnt habe«, sagte er schließlich.
    Ich umklammerte mein Notizbuch, in dem der Name geschrieben stand. Tuula.
    Maris beugte sich vor und griff nach meinem Handgelenk. Seine Finger berührten das Büchlein, und ich musste mich überwinden, nicht zurückzuweichen. Das war Maris Elbenstern, den ich schon lange, und wie ich bisher geglaubt hatte, gut kannte – kein bösartiger Fremder, der mir Leben und – noch schlimmer – mein Buch rauben wollte. Ich zwang mich, ruhig zu atmen.
    Er spürte meine Erregung, und sein Gesicht verlor etwas von dem fremden, schrecklichen Ausdruck und glich wieder ein wenig mehr dem alten Freund, in dessen Gesellschaft ich so viele Nächte plaudernd und schweigend verbracht hatte.
    Auch er schien sich diese gemeinsamen Stunden ins Gedächtnis zu rufen, denn seine Stimme war sanft, als er nun sagte: »Tijan, mein Bruder Schreiber, höre mich an. Woher hast du Kenntnis von diesem Namen? Sag es mir, ich bitte dich im Namen des Großen Buches.«
    Meinen Lippen entfloh ein leises Stöhnen. Wohl niemand außerhalb meines Ordens wusste, dass eine Bitte im Namen des Heiligen Großen Buches nicht abgeschlagen werden durfte. Maris war allerdings kein Frar Scriptor – zumindest war mir dies nicht bekannt. Aber er war einer der wenigen Außenstehenden, die das Ordenshaus besuchen durften, und Mar Ayomida fand stets etwas von ihrer kostbaren Zeit für ihn.
    Ich biss die Zähne aufeinander und legte mein Buch in seine Hand. »Hier. Er steht hier.«
    Maris nahm das Büchlein achtsam zwischen die Finger. »Dein Notizbuch«, sagte er staunend. Ich nickte und murmelte zustimmend.
    Maris hielt das Notizbuch eine Weile lang fest, dann öffnete er es und tastete über die letzten beschriebenen Seiten. An den Stellen, wo ich selbst beim schwachen Licht der Kaminglut die Zeilen rot leuchten sah, hielten seine Finger still und ruhten eine Weile auf den glühenden Buchstaben.
    Er hob den Kopf und stieß mit gespitzten Lippen einen hohen, beinahe unhörbaren Pfiff aus. Wenig später huschte der weiße Gespensterschatten der Eule durch das Fenster. Sie landete auf Maris’ Schulter und schaute mit ihren riesengroßen Augen auf die Buchseite.
    Maris schlug die Seiten um, hielt hier und da inne, blätterte wieder zurück und las eine andere Stelle erneut. Endlich klappte er das Büchlein zu und legte es mit einem tiefen Seufzer in meine wartende Hand zurück. »Danke, Lochan«, sagte er, und die Eule schwang sich auf und strich durch das Fenster hinaus in die Nacht.
    Ich konnte die Frage nicht zurückhalten: »Wieso hast du meine Schrift entziffern können?«
    Â»Warum, so schrecklich ist sie doch gar nicht«, gab er geistesabwesend zurück. Ich schnappte empört nach Luft, und er sah auf und lächelte, was mich mit großer Erleichterung erfüllte.
    Â»Ich kann jede Schrift lesen«, sagte er. Das war eine Fähigkeit, die nur sehr wenige der älteren Scriptoren beherrschten – ich brauchte eine Weile, um das zu verdauen.
    So schwiegen wir beide, jeder tief in seine Gedanken versunken.
    Â»Ich habe immer noch nicht begriffen, was Seelentrinker bedeutet«, wagte ich mich nach einer Weile wieder hinaus.
    Er seufzte. »Das alles war unerklärlich für uns. Die Wiedergekehrten und ihre Veränderung, das Dahinsiechen und Sterben – der Verlust.« Er hob fröstelnd die Schultern, als die Erinnerungen ihn überwältigten. »Du weißt, dass wir alles, unser gesamtes Wissen, unser Leben, unsere Persönlichkeit den

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