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Die Seele der Elben

Titel: Die Seele der Elben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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bergen mochten. Aber mein knurrender Magen erinnerte mich schmerzhaft daran, dass ich mehrere Mahlzeiten ausgelassen hatte. Ich säuberte also mein Schreibgerät, verstaute mein Notizbuch und lief die Treppen hinunter, um im Speisesaal noch einen Teller dicken Eintopf zu ergattern.

    Es war voll und laut im Speisesaal, die jungen Barden verfügten allesamt über gut trainierte, durchdringende Stimmen. Ich nahm mein Essen in Empfang und schaute mich um, aber das Stimmengewirr, das laute Lachen und sogar vereinzelte Instrumentenklänge vertrieben mich, und ich flüchtete mitsamt meinem Teller hinaus in den Hof. Einen Moment lang sehnte ich mich nach dem heimatlichen Refektorium – auch bei uns ging es nicht immer nur still und gesittet zu, aber die Scherze und Eskapaden der Novizen und jungen Brüder und Schwestern nahmen nie derart überhand, dass die Älteren oder gar Mar Ayomida sich davon gestört fühlen mussten.
    Im Hof war es still und die Luft weich wie Samt. Ich hockte mich auf ein Mäuerchen und löffelte den inzwischen abgekühlten Eintopf. Ich brockte das grobe, aber wohlschmeckende Brot in großen Stücken in die Neige und ließ es weichen, während ich den Himmel betrachtete. Ich suchte das Sternbild, unter dem ich – noch viel weiter von hier entfernt als das Ordenshaus – geboren worden war, und fand es nach einigem Suchen. Die Kleine Schwester hing in diesem Teil der Welt mit dem Kopf nach unten, ein Anblick, mit dem ich mich immer noch nicht so recht anfreunden konnte.
    Ich löste mich vom Anblick der Sterne und schob das eingeweichte Brot in den Mund, wischte den Teller sauber und holte dann mein Notizbuch aus der Tasche. Als ich es auf den letzten Seiten aufschlug, leuchteten mir mit mattem rötlichen Glühen einzelne Zeilen und Wörter entgegen, die ich nun voller Neugier zu lesen begann.
    Kann man es lesen nennen? Die meisten Worte gehörten keiner Schrift oder Sprache an, die ich kannte. Sie schimmerten hell in meinen Augen, und Bilder tauchten in meinem Geist auf und riefen Gesichter, Erscheinungen, eine Ahnung von Geschehnissen hervor. Nichts davon war klar oder deutlich bis auf die Empfindungen, die die vagen Bilder begleiteten. Schrecken ging von ihnen aus, ein Geschmack von Verlust und Furcht, uraltem Zorn, Einsamkeit und einem großen, unstillbaren Hunger.
    Als ich das Buch schloss, war ich schweißgebadet und meine Hände zitterten. In meinem Kopf dröhnten und sangen Stimmen, sprachen durcheinander, flehten und riefen, und meine Augen zeigten Bilder von Gewalt und Tod, Morden und Strömen von Blut.
    Ich erhob mich mit weichen Knien, dachte gerade noch mit einem Zipfelchen meines Verstandes daran, den leeren Teller aufzuheben und taumelte zurück ins Haus. Ein letzter Blick zum Himmel verriet mir, dass ich kaum länger als das Viertel einer Stunde den schrecklichen Bildern ausgeliefert gewesen war – aber ich fühlte mich, als seien Jahre wie Wasser an mir vorübergeflossen.
    Ich fühlte mich zu schwach und innerlich ausgemergelt, um Maris jetzt schon in seiner Turmstube aufzusuchen. Aber die Nacht war noch jung, und ein oder zwei Stunden Schlaf würden meine Lebensgeister so weit wieder zurückbringen, dass ich der Fortsetzung seiner Erzählung mit wachem Kopf würde folgen können. Von Gespenstern umschwebt, kehrte ich in mein Zimmer zurück und fiel in einen traumlosen Schlummer.

Lerneburg, Feuermond, im zweiten Register
nach dem Großen Regen, Jahr des Luchses

    Ich hatte noch einen Apfel in meinem Gepäck, den ich sorgsam polierte und zu Maris in den Turm emportrug. Der kurze Schlaf hatte mich erquickt und die bösen Geister so weit vertrieben, dass sie nur noch wie dünne Nebelfetzen durch meine Erinnerung trieben.
    Im Turmzimmer brannte ein Feuer im Kamin und beleuchtete heimelig den Raum. Maris hatte zwei Sessel ans Feuer geschoben und eine Karaffe mit Wein und zwei Gläser bereitgestellt. Er saß still in einem der Sessel und hatte das Gesicht dem Feuer zugewandt. Es war ein schönes, friedliches Bild, und ich begriff, wie einsam der Barde in seiner Dunkelheit war, und fragte mich, wie sehr er die Gesellschaft anderer Elben wohl entbehren mochte.
    Ich setzte mich neben ihn und legte den Apfel in seinen Schoß. Er griff danach, und ein Lächeln milderte die strengen Linien seines Gesichtes. Während er den Apfel zwischen den Fingern rollte und schnuppernd an die Nase

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