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Die Seele der Elben

Titel: Die Seele der Elben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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hielt, zog ich mein Notizbuch hervor, legte es auf mein Knie und faltete die Hände mit einem kurzen Gebet darüber.
    Â»Was bedrückt dich, Bruder Schreiber?«, fragte der Barde. Manchmal vergaß ich, dass seine Sinne so scharf waren wie die seiner Vögel, wenn nicht sogar noch schärfer.
    Ich zwang mich zu einem Lächeln, als ich ihm antwortete: »Es ist nichts Wichtiges, Maris. Üble Träume, nichts weiter.«
    Er nickte und fragte nicht weiter. Ich sah sein Gesicht und wusste, dass seine Gedanken in der Vergangenheit weilten.
    Ich nahm das Weinglas und nippte daran. Maris brauchte keine Ermutigung, um weiterzuerzählen, das konnte ich erkennen.

    Â»Wohin gehst du?«
    Die junge Elbin drehte mit einer ungeduldigen Handbewegung ihre hüftlangen Haare zu einem Zopf, den sie mit einigen fingerlangen Dornen hochsteckte. »Lass mich«, sagte sie.
    Der Bewahrer in seiner dunkelroten Robe wollte sie an sich ziehen, aber sie entwand sich seiner Umarmung und tänzelte ein paar Schritte beiseite.
    Â»Geh nicht fort«, sagte der Bewahrer sanft. »Du bist gerade erst zurückgekehrt, und wir wissen nicht …«
    Er verstummte. Ihre Lippen waren fest geschlossen und ihr Kinn bildete eine störrische Linie. Er wusste, dass er auf taube Ohren stieß, und seufzte. »Dann warte, ich komme mit dir.«
    Er hatte seine Robe gegen praktische Kleidung getauscht, als er wieder aus der Tür trat. Zu seiner Überraschung saß sie auf der Bank vor dem Haus und zwirbelte ungeduldig eine Haarsträhne zwischen den Fingern. Ohne ihn anzusehen, sprang sie auf und lief den Weg hinunter, der zum Waldrand führte.
    Er folgte ihr langsamer, mit sorgenvoll gerunzelter Stirn, und rief leise ihren Namen. Sie wandte sich nicht um, wurde aber etwas langsamer. Sie gingen eine Weile lang schweigend über den schattigen Pfad, Moos und Erde unter ihren Füßen und leise rauschendes Laub über ihren Köpfen. Unsichtbar zwitscherte ein kleiner Vogel im Unterholz sein monotones Lied und in der Ferne hämmerte ein Specht den Takt dazu.
    Er sagte noch einmal ihren Namen, leise, bittend. Sie blieb stehen, aber sie sah ihn nicht an.
    Â»Komm zurück nach Hause«, sagte er. »Liebes, ich weiß, dass es schwer für dich ist.«
    Sie schüttelte stumm den Kopf. Du weißt gar nichts , sagte die Haltung ihres Kopfes, die steife Linie ihres Rückens.
    Er hob zögernd die Hand, ließ sie wieder sinken. »Nein, ich weiß nichts«, sagte er. »Aber ich sehe, dass du leidest. Komm mit mir zurück. Alles wird gut.«
    Er verstummte, erschreckt darüber, dass ihm kein Wort des Trostes, der Liebe, der Zuversicht einfallen wollte, das nicht schal und falsch erschien. Jedes Wort, das aus seinem Mund kam, klang hohl und bedeutungsleer wie das monotone Hämmern des Spechtes.
    Sie ging ohne ein Wort weiter, und er blieb stehen, mit hilflos baumelnden Armen.

    Paravents aus Papier und geflochtenen Zweigen filterten das Licht und tauchten den Raum in ein dämmriges Zwielicht. Er kam immer wieder hierher, saß eine Weile neben ihr und hielt ihre Hand, fühlte seine Hilflosigkeit und seine Trauer wie ein Gewicht aus Stein auf seinen Schultern lasten.
    Manchmal lächelte sie ihn an, dann begann sein Herz schneller zu schlagen und der Stein verschwand. Aber das Lächeln erlosch immer wieder nur einen Augenblick später, und die Dunkelheit, die sich danach erneut auf sein Gemüt senkte, war umso schwärzer und kälter.
    Die meiste Zeit lag sie einfach nur da, still und bleich, und ihre Finger waren kalt und starr in seiner Hand. Das waren die Tage, an denen er sich wünschte, ebenso still und kalt neben ihr zu liegen und nicht mehr atmen, denken, fühlen und fürchten zu müssen. Den Tag fürchten zu müssen, an dem sie nicht mehr lächeln und das letzte Fünkchen Erkennen und Liebe aus ihren Augen für immer verschwinden würde.

    Es war lange still, bis ich mich ein bisschen schüttelte und nach der Weinkaraffe griff. »Und was geschah dann?«, fragte ich.
    Â»Sie war eine der ersten Wiedergekehrten. Sie ist als erste gestorben, wie später fast alle anderen nach ihr«, erwiderte er.
    Â»Und er?«
    Â»Er wurde krank.« Seine Stimme klang gleichgültig. Das Schicksal der jungen Elbin war ihm nahegegangen, aber der Bewahrer interessierte ihn ganz offensichtlich nicht weiter. Ich fragte mich, wer die Elbin gewesen war

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